Full text: Für mittlere Klassen (Theil 2)

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Jäger etwa zwanzig Schritte hinter sich zurückläßt. Schwinden dem 
Löwen allmählich die Kräfte, so zermalmt er den Kopf des Mannes, der 
unter ihm liegt, und zwar in dem Augenblicke, als er das Rohr des 
Gewehres zu seinem Ohr sich senken sieht. Dann schließt er die Augen 
und erwartet den Tod. Fühlt er sich dagegen noch stark, so beeilt er 
sich, den Jäger in seinen Klauen zu todten, um sich auf den Verwegenen 
stürzen zu können, der jenem zu Hülfe zu kommen wagt. 
Außer dieser eigentlichen Jagd giebt es noch andere Weisen, sich 
des Löwen zu bemächtigen oder ihn zu erlegen. Die Buschmänner 
belauern den Schlafenden und schießen ihn vom Gipfel eines Baumes 
herab mit vergifteten Pfeilen. Lindere Stämme fangen ihn in Gruben, 
in denen er dann unter zahllosen Flintenschüssen der Männer und unter 
den Stcinwürfen der Weiber langsam verendet. Kühne Beduinen erschlei¬ 
chen auch wohl in Abwesenheit der Löwen das Lager derselben und steh¬ 
len die Jungen. Sie wickeln die jungen Thiere in ihre Burnus, damit 
sie keinen Laut von sich geben können, und tragen sie den Reitern zu, 
die am Waldsaume warten, um, mit den jungen Löwen vor sich, den 
Räubern derselben hinter sich, sogleich im gestreckten Galop davon zu 
jagen. Aber auch ein solches Unternehmen ist gefahrvoll. Im März 
des Jahres 1840 hatten sich sechzig Araber vereinigt, um die Jungen 
entfernten Löwin nichts mehr fürchten zu dürfen glaubten, als der Scheik 
Sedek, der etwas hinter den Seinigen zurückgeblieben war, die Löwin 
aus dem Gebüsch heraus und gerade auf sich zustürzen sah. Er rief 
sogleich seinen Neffen Mezaoud und seinen Freund Ali ben Braham zu 
Hülfe. Die Löwin aber warf sich wüthend dem herbeieilenden Neffen 
entgegen. Dieser ließ sie herankommen und drückte dann sein Gewehr ab. 
Das Gewehr versagte. Mezaoud warf rasch die Waffe von sich und streckte 
der Löwin den linken Arm entgegen, uin welchen er seinen Burnus 
gewickelt hatte. Die Löwin packte den Arm und zermalmte ihn unter 
ihren Zähnen; der muthige Jüngling aber ergriff unterdessen, ohne einen 
Schritt zurückzuweichen, oder einen Schmerzenslaut auszustoßen, das 
Pistol, das er unter dem Burnus trug, schoß der Löwin zwei Kugeln 
in den Leib und nöthigte sie so ihn loszulassen. In demselben Augen¬ 
blicke aber stürzte sie sich auf Ali ben Braham, der ihr vergeblich mit 
einem Schuß den Nachen zerschmetterte; er wurde an beiden Achseln 
gepackt und niedergerissen und verdankte seine Rettung nur dein Tode der 
^öwin, die auf ihm verendete. Doch war ihm die rechte Hand durch¬ 
bissen und der Leib über der Rippengegend zerfetzt. Ali ben Braham 
lebt noch, aber verstümmelt. Mezaoud starb folgenden Tages an sei¬ 
nen Wunden. 
Die Gestalt des Löwen in seiner furchtbaren Schönheit ist einer der 
dankbarsten Stoffe für Plastik und Malerei geworden. Wie die Dichter 
seit Homer immer wieder auf dieses heroische Bild des Muthes und der 
Kraft zurückgegangen sind, braucht nicht erwiesen zu werden. Erscheint 
doch auch der Messias, den uns das Neue Testament als das Lamm 
zeigt, welches der Welt Sünde trägt, in der kühnen Bildersprache des 
Alten Bundes als der zürnende Löwe von Israel. — Der Löwe erreicht 
eine Höhe von 3 Fuß, und eine Länge von 5; der Schweif inißt 2 Fuß. 
Dennoch sind die Formen desselben trotziggedrungen und straffer gespannt
	        
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