Mittel - Europa. — Deutsches Reich.
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Macht ertrotzte, dunkel und unbestimmt gehaltene Fassung dieser Abtretungen bewirkte,
daß Ludwig XIV., der durch den Frieden von Nimwegen („Nimm weg"; 1678) das Über-
gewicht über Europa erlangt hatte, die Souveränetät auch über alle reichsunmittel-
baren Gebiete im Elsaß in Anspruch nahm, und dieser seiner Auslegung des münsterischen
Friedens durch die berüchtigten Rennionen sofort einen praktischen Ausdruck gab. Am
30. Sept. 1681 kapitulierte auch das „wehrlose" Straß bürg, dessen Bürger sonst als
„Rebellen gegen ihren rechtmäßigen Herren" behandelt worden wären. Dem
durch die Türkengefahr erzwungenen 20jährigen Waffenstillstand von Regensburg (1684)
folgte der Krieg wegen der Rennionen, der mit dem Frieden von Ryswyk („Reiß weg";
1697» dem isoliert gelassenen Deutschland die Aufgebung von ganz Elsaß mit Straß-
bürg an Frankreich aufnötigte. In derselben Lage befand sich das Reich am Ausgange
des spanischen Erbfolgekrieges. Die englischen Toryminister ließen geschehen, daß trotz des
„geheiligten Königswortes", trotz der „unter dem großen Siegel des Lan-
des verpfändeten Ehre von England", der Ryswyker Friede den Vertrügen von
Utrecht („Unrecht"; 1713) und Rastatt (1714) zu Grunde gelegt, somit Metz, Toul
und Verdun, gleichwie das Elsaß mit Straßburg, ja selbst noch Landau, den Franzosen
belassen wurden. Lothringen, seit Jahrhunderten eine Vormauer Deutschlands, blieb
dadurch vereinzelt in einer militärisch unhaltbaren Stellung; seine Einverleibung in
Frankreich erfolgte in dem polnischen Erbfolgekriege. Kaiser Karl VI., der sich nicht mehr
zu verteidigen vermochte, von allen Seiten bedrängt, von den Seemächten auch diesmal
im Stich gelassen, willigte ein, daß sein Eidam, der Herzog Franz Stefan von Loth-
ringen, auf sein angestammtes Fürstentum, dessen Bewohner unter allen Widerwärtigkeiten
treu zu ihrem alten Herrscherhause gehalten hatten, Verzicht leistete und dasür das Groß-
Herzogtum Toskana eintauschte (Friede von Wien 1738).*) Wohl wurde nach dem
Sturze Napoleons, zur Sicherstellung Deutschlands, die Zurückerstattung des Elsaß und
des deutschen Moselgebietes von Preußen beantragt und unter Mitwirkung von Bayern
und Württemberg lebhaft betrieben, aber Englands und Rußlands entschiedener Wider-
spruch, „daß gegen den verbündeten Bourbonen Ludwig XVIII. kein Eroberungsrecht
geltend gemacht werden dürfe", vereitelten damals, da auch Österreich dieser Erklärung
der fremden Mächte beitrat, Preußens uneigennützige Bemühungen, der französischen Er-
obernngsfucht einen stärkeren Damm entgegenzustellen. Der zweite Pariser Friede
«20. November 1815) entzog Frankreich nur den nordöstlichen Teil von Lothrin-
gen (mit Saarlouis), die Grafschaft Nassau-Saarbrücken und die Festung Landau
mit allem Gebiet auf dem linken Ufer der Lauter, jedoch ohne Weißenburg. Erst der
Prälimiuarfriede von Versailles (2. März 1871) hat dem deutschen Reiche
Landschaften zurückgegeben, die in dem ursprünglichen Teil ihrer Bevölkerung, trotz aller
Französierungsversuche, wesentlich deutsch geblieben sind.
Der Bodcnform nach bildet das Elsaß den links des Stromes gelegenen
Teil der oberrheinischen Tiefebene mit dem Wasgenwald als West-Grenze. (S.
darüber S. 108.) Im Süden schließt es sich in dem Thore zwischen Wasgenwald
und Jura, wo die Gewässer dem Rhönebecken zuzufallen beginnen. Im Norden
macht die Lauter denjenigen Querdurchschnitt im Rheinbecken, wo seit alten
Zeiten beinahe stets die politischen, kirchlichen und sprachlichen Grenzen des Elsaß
stehen geblieben sind. Die Hauptpulsader des elsässischen Lebens ist jedoch nicht*
der Rhein, sondern dessen linker Nebenfluß, die Jl l, die auf dem Jura entspringt,
150 km weit fast ganz parallel mit dem Rheine, in nur geringer Entfernung
von ihm, läuft und erst in der Mitte des Beckens durch herzutretende Höhen in
^) Als Entschädigung für die polnische Krone erhielt St anis la us L e ß cyn s ki, der Schwieger-
Vater Ludwigs . t Lothringen auf Lebenszeit; doch wurde das Land sogleich in französische Verwaltung
genommen. Die völlige Einverleibung erfolgte 1766.