Full text: Poesie und Prosa aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert

I. Hans Sachs. 
Er hätt' ein Auge treu und klug 
Und wär' auch liebevoll genug, 
rur Zu schauen manches klar und rein 
Und wieder alles zu machen sein; 
Hhätt' auch eine Zunge, die sich ergoß 
Und leicht und fein in Worte floß. 
Des täten die Musen sich erfreu'n, 
Wollten ihn zum Meistersänger weih'n. 
Die treue Beobachtungsgabe, die Kunst, das Aufgenommene sich 
zu eigen zu machen und mit seiner Persönlichkeit zu durchdringen, 
den Sstoff zu formen und in Worte zu gießen, das besaß Sachs 
in der Tatn Wie dies zu verstehen ist, mögen die abgedruckten 
Proben zeigen. Es sei nur noch auf ein lehrreiches Beispiel hin⸗ 
gewiesen, das hier wegen seines Umfangs keinen Platz fand, auf die 
Tomedia „Die ungleichen Rinder Evä“. Den Stoff entnahm er dem 
Leben, dem Bürgerhause mit seiner oft so verschiedenen oder erfolg⸗ 
losen Rindererziehung, der Arbeit der Reformation an ihrer Ver⸗ 
besserung durch Schulen und Rirchenvisitationen. An diese knüpft 
er an, eine solche will er schildern, aber nicht ein Abbild der 
Wirklichkeit gibt er, sondern er findet für den Stoff ein neues Kleid: 
Gott vater selbst muß in Adams Haus Rinderlehre halten, die 
guten Kinder belohnen und die untüchtigen strafen. So trägt Sachs 
schwankweis seine Sache vor und erzielt bei aller Komik eine ernste 
Wirkung. Er schreibt es „dem Menschenvolk auf Erden, ob's ihm 
möcht' eine Wihzung werden.“ 
Des Dichters Ruhm sank mit seinem Jahrhundert dahin. Das 
17. Jahrhundert, in dem man sich das eigene haar abschnitt, um 
die Allongenperücke auf den Ropf zu stülpen, hatte für sein 
deutsches Wesen kein Verständnis. Man spottete seiner mit den 
Versen: 
hans Sachs, der lang in Deutschland herrschte 
Und nach der Füße Maß hier Schuhe macht' und verschte, 
Der in der Dumnmheit Reich und Hauptstadt lobesam 
den ersten Preis durch Reim' ohn' allen Streit gewann. 
Erst Goethe brach den Bann, und zwar brachte ihn die Un— 
sicherheit in der Behandlung der Verse, welche in den 70ger Jahren 
herrschte, auf die leichte Behandlung des Rithmus, die er in den 
verspotteten Unittelversen des Sachs fand. Er ahmte dem meisterlichen 
Dichter in der „Poetischen Sendung“ und in der Legende vom huf— 
eisen nach und wandte die alten deutschen, viermal gehobenen
	        
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