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ließ er sich die Geschichten von den Thaten seiner Vorfahren vor-
lesen. Vorzüglich gern las er die Schriften des heiligen Hiero¬
nymus und Augustinus. „Wenn ich doch nur zwölf solche Männer
in meinem Reiche hätte!" rief er einmal aus. Sein gelehrter
Freund Alkuin aber antwortete ihm: „Der Schöpfer des Himmels
und der Erde hat ihrer nur zwei gehabt, um seinen Namen zu
verkündigen, und du verlangst zwölf?" Auch die Künste hat Karl
gefördert, namentlich die Baukunst. Er hatte keine bestimmte
Residenz; am liebsten aber hielt er sich in Aachen auf. Dort
ließ er ein Theater, eine Badeanstalt, Wasserleitungen, einen präch-
tigen Palast bauen, vor allem aber den herrlichen Dom, der noch
jetzt steht. Denn Karl war ein sehr frommer Fürst, und darum
lag es ihm besonders am Herzen, wahre Frömmigkeit unter
seinem Volke zu verbreiten. Auch auf die würdigere Gestaltung
des Gottesdienstes verwandte er große Sorgfalt. Zu diesem
Zwecke legte er Sängerschulen an, und an seinem Hofe hielt
er Gesangübungen, die er selbst leitete. Namentlich aber wollte
er, daß die Geistlichen in der Volkssprache predigen sollten (denn
die Kirchensprache war die lateinische); auch sollten sie ihrer Ge-
meinde ein Vorbild im christlichen Lebenswandel sein. Vielfach
trat er dem Aberglauben entgegen, obgleich er doch zuweilen auch
in den verkehrten Ansichten seiner Zeitgenossen befangen war. So
stellte er sogar durch Gesetze die Anwendung der sogenannten
Gottesurteile fest (Wasser- und Feuerprobe, Kesselfang, der
geweihte Bissen, Zweikampf), durch welche, wie man meinte, Gott
die Schuld oder Unschuld des Angeklagten an den Tag brächte.
§ 71. Karls Privatleben. Sein Tod. — Im
Privatleben war der große Kaiser ungemein liebenswürdig.
Seiner Mutter Bertha erwies er stets die höchste Ehrfurcht; seiner
Gemahlin Hildegard war er ein zärtlicher Gatte, seinen Mndern
ein sorgsamer Vater. Nicht nur in den Waffen ließ er seine Söhne
üben, und seine Töchter, die er nie von seiner Seite lassen mochte,
mußten nicht bloß spinnen und weben lernen, sondern er ließ sie
auch in den Wissenschaften unterrichten. In seiner Lebensweise
war er ungemein einfach. Niemand konnte mäßiger sein in Speise
und Trank. Seine Kleidung unterschied sich fast in nichts von der
Tracht des gemeinen Volkes; nur bei feierlichen Gelegenheiten legte
er seinen kaiserlichen Schmuck an, und auch bei seinen Hofleuten
war ihm Kleiderpracht zuwider. Seine Lieblingsvergnügen waren
Jagd, Reiten, Fechten, Schwimmen, kalte und warme Bäder.
Bis in sein hohes Alter erhielt ihn diese Lebensweise kräftig
und gesund; aber in den vier letzten Jahren litt er oft am Fieber,
und sichtlich ging er seiner Auflösung entgegen. Er mußte noch
den Schmerz erleben, daß seine beiden älteren Söhne Karl und
Pipin vor ihm starben, und nur sein jüngster uud unfähigster
Sohn Ludwig überlebte ihn. Als er sich dem Tode nahe fühlte,
ließ er Ludwig, der in Frankreich war, zu sich nach Aachen kommen.
Er fragte die Großen seines Reiches, ob sie seinen Sohn zum