Full text: Topische Geographie (Abth. 1)

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als einer herrlichen, dunkeln Frau mit tiefen, schwarzen Augen, mehr 
Zauberin und Königin als Göttin, mit geheimnisvollen Attributen. Zu 
ihren Füßen floß der Nil aus der unerforschten Wüste in's unergründ¬ 
liche Meer, ein unermüdlicher Segensstrom, den die Völker seit Jahr¬ 
tausenden nur durch seine Wohlthaten kennen, und sie hielt die Hand 
über ihm ausgestreckt. So schaute ihn die ahnende Seele — und sie 
hatte mich nicht getäuscht: die Isis darf neben ihm stehen bleiben mit 
ihren schwarzen Augen! Breit und mächtig kommt der Strom aus 
Süden; nicht schnell — er gefällt sich in dem frischen, grünen Ufer¬ 
bett, das er selbst sich bereitet hat; nicht reißend — er hat keine zer¬ 
störende Bestimmung; aber so recht ein Bild stiller, starker Ruhe, voll 
unermeßlicher Schöpferkraft. Guirlanden und Sträuße von Palmen, eben 
so still und majestätisch wie er, schmücken seinen Lauf, und die Pyramiden 
blicken ernst und hoch von der Grenze der libyschen Wüste herüber. Eine 
träumerische Ruhe, ein hehres Schweigen liegt über dem Bilde, das so 
ganz allein dem Orient angehört; man fühlt, daß man in dem Lande 
tiefsinniger Weisheit ist, aus deren Quell Solon, Pythagoras, Platon 
schöpften, und der man sich näher wähnt, wenn man im Anschaun 
dieser geheinmißreichen Fluth und dieser wunderbaren Pyramiden in die 
Tiefe der Zeiten hinabgleitet. 
Die Abende auf dem Nil sind die schönsten, die ich je genossen. 
Man legt sich auf das Deck des sanft hinschwimmenden Schiffes und 
athmet die leichte, linde, frische Lust ein. Die Sonne sinkt hinter das 
libysche Gebirg, das dunkelblau wie Schmelz im Schatten liegt, wäh¬ 
rend die Lichtstrahlen auf dem arabischen wie auf einem Prisma spielen 
und es mit tausend Farbenschillern schmücken. Wie große, flammende 
Rosen liegen einzelne Massen da; wie Ketten von Amethyst in goldener 
Fassung die langgestreckten. Die stillen Wasser spiegeln getreu die schö¬ 
nen Gebilde zurück, nur mit einem leichten Florschleier überhaucht. 
Frühlingsduft erfüllt die Atmosphäre; Rübsamen-, Bohnen-, Lupinen-, 
Wicken- und Baumwollenfelder stehen in Blüthe; Weizen und Gerste 
sind armslang; Akaziengesträuch, mit lilafarbenen und blauen Schling¬ 
pflanzen durchflochten, und andere fremdartige Gewächse umgeben die 
Wasserräder (Sakieh), welche ununterbrochen die Felder bewässern, oder 
wuchern frei am Ufer. Frühlingsathem müßte ich diesen quellenden, 
balsamischen Geruch nennen, den auch unsere Felder und Wälder in 
der schönsten Zeit unseres Jahres, im Junius, aushauchen. Die wil¬ 
den Tauben wiegen sich auf Palinzweigen oder gurren und kichern 
neckend, wie fröhliche Mädchen, aus den'Gebüschen. Wasservögel sitzen 
geschaart beisammen auf den Sandbänken, marmorweiße hier, raben¬ 
schwarze dort, und summen ihr eintöniges Abendlied, das sie vom ein¬ 
förmigen Geplätscher der Wellen, zwischen denen sie leben, gelernt haben. 
Ein großer Reiher fliegt zuweilen über die ganze Breite des' Flusses oder 
ein Pelikan, der mit schwerem Flügelschlag nach einem Fische untertaucht. 
Ist die Sonne gesunken und das Abendroth verglimmt, so beginnt 
zuweilen im Süden ein zweites Abendroth, dunkler und weniger flam¬ 
mend als das erste, aufzugehen und die erblaßten Berge noch einmal 
mit rosigein Schimmer zu übergießen. Inzwischen sind auch die ersten 
Sterne aufgegangen. Die himmliche Venus als Abendstern — schöner 
als irgend ein anderer, die Sonne des nächtlichen Himmels —; der kühne 
Jäger Orion steigt langsam über das arabische Gebirg heraus; später 
Masius Leseb. II. 4. Aufl. 12
	        
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