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Vorgänge zu der Zeit kaum etwas wahrnehmen, und
erst später mehr und mehr an den Früchten erkennen,
was im Verborgenen sich zugetragen hatte; oft aber ist
auch diese Sinnesänderung eine gleichsam plötzliche und
zeigt sich dann sogleich in Zedermann in die Augen fal¬
lenden Erscheinungen. Von dieser Wahrheit liefert da¬
her nicht allein die älteste Geschichte der Predigt des
Evangeliums in den Bekehrungen einer Magdalena, ei¬
nes Paulus und eines Kerkermeisters zu Philippi u. A.
die erwecklichsten Beispiele, sondern durch alle Jahrhun¬
derte hat sich diese Erfahrung an Menschen aus allen
Ständen und Altersstufen in unzähligen Beispielen wie¬
derholt. Die nächstfolgenden Erzählungen werden hin¬
reichen, das Gesagte zu bestätigen.
AureliuS Augustinus, ein berühmter Kirchen¬
lehrer des vierten Jahrhunderts, war der Sohn einer
christlichen Mutter und eines heidnischen Vaters. Von
seiner frühen Jugend an hatte ihn die fromme Mutter
zum Christenthums zu erziehen sich bemüht, aber nur
wenig über den weltlich gesinnten Jüngling vermocht.
Mit großer Begierde las er die heidnischen Schriftsteller,
und zeichnete sich bald durch einen großen Reichthum
von Gelehrsamkeit aus, ergab sich aber dabei auch allen
Ausschweifungen der Wollust und des Ehrgeizes. Un¬
ablässig lag ihm seine bekümmerte, Dag und Nacht über
ihn weinende Mutter an, auf das Heil seiner Seele be¬
dacht zu sein; auch manche seiner Freunde versuchten
es, ihn für das Christenthum zu gewinnen, jedoch ver¬
gebens. Er hatte nicht Muth, seinen Lüsten zu entsagen
und sich Gott, allein zu weihen, ob er wohl sein Elend
täglich mehr fühlen lernte, und in den Briefen Pauli,
die er las, mehr Weisheit fand, als in allen Schriften
der heidnischen Weltweisen. Doch wurde eben dadurch
in ihm allmählich das Verlangen rege, Christ werten
zu können. Und nun begann in ihm ein schrecklicher
Kampf. Er erzählt selbst von sich: Ich quälte meine
Seele mit Sprüchen der Schrift, Gott zu folgen; aber
sie gehorchte mir nicht. — Stummer Schauder war