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Mittlere Geschichte.
flucht geboten hätten. In ihnen, wo bischöfliche oder kaiserliche Vögte das
Oberaufsichtsrecht übten, entwickelten sich allmälig selbständige Korporationen.
Die Ge- Den Kern der Bürgerschaft bildeten die sogenannten Geschlechter, d.^h.
schlechter, diejenigen Familien, welche zuerst den Grund und Boden der Stadt inne¬
gehabt hatten. Außer ihnen gab es eine Menge unfreier Bürger, welche
herzugezogen waren und entweder Handwerke trieben oder den reichen Bür¬
gern als Knechte dienten. Jene Geschlechter traten durch Wechselheiraten
und gemeinschaftliche Handelsunternehmungen in eine enge aristokratische
Verbindung zusammen und behielten sich auch allein das Recht öffentlicher
Versammlungen, die sogenannte „Nitterzeche", vor. Der aus ihnen er¬
richtete Gemeinderath, an dessen Spitze der Schultheiß stand, wußte nach
und nach die Wirksamkeit des herrschaftlichen Vogtes zu beschränken und
sich fast die ausschließliche Verwaltung der Stadt anzueignen. Später aber
errangen auch die Handwerker, welche sich in städtischen Fehden durch ihre
handfeste Tapferkeit auszeichneten, allmälig politische Rechte. Sie sonderten
sich in Zünfte und traten als kleine Gilde unter ihrem aus den Zunft-
Die Zünfte, m e i st e r n freigewählten Bürgermei st er jenen Geschlechtern (Patriziern)
mit ihrem Schultheißen und ihrer großen oder Kaufmannsgilde mit
wachsenden Ansprüchen gegenüber.
Die Blüthe der Dom- und Klosterschulen, welche unter den Ottonen
von Neuem begonnen hatte, dauerte in der ersten Hälfte der salischen Pe¬
riode fort. Unter den Schriftstellern jener Zeit sind besonders Hermann
derKontrakte und Lambert von Aschafsenburg zu nennen, welche beide
werthvolle Chroniken ihrer Zeit hinterlassen haben.
53. Die Normannen in Unteritalien (1000).
1. Fortdauernde Wanderlust der uach Frankreich verpflauzteu Normannen. Erscheinen
einzelner Normannen in Unteritalien (1016). Die Kolonie zu Aversa (1029). Ankunft
dreier Söhne des Grafen Tankred. Eroberung von Melfi. Wilhelm Eisenarm Graf
von Apulien. Weitere Einwanderung von Normannen. Gefangennahme und Wie-
derfreigebung des Papstes. Die Normannen Lehnsleute deö heiligen Stuhles (1053).
2. Herrschaft Robert Guiskard's. Seine Freundschaft mit dem Papste (Nikolaus II.)
und dem griechischen Kaiser (Michael Parapinaceö). Kämpfe gegen Alexius Komne-
niuö. Kaiser Heinrich IV. bedrängt Gregor den VII. Errettung deö Papstes durch
Guiökard (1084). Gmskard stirbt (1085). Sein Sohn Roger begründet das König¬
reich Neapel.
1. Die im Jahre 911 nach Frankreich verpflanzten Normannen 4) ver¬
loren auch in der neuen Heimat die Lust an Wanderungen und Abenteuern
nicht, namentlich fühlten sie sich von der Natur und den Schätzen des euro-
l) In die ursprünglichen Wohnsitze der Normannen war daö Christenthum zur
Zeit Ludwig des Frommen gedrungen. Ansgar (Anschar) hieß der mulhvolle Gtau-
benöbote, welcher das Evangelium in Dänemark (826) und Schweben (829) verkün-
deie. Er erwarb sich durch seine Missionsthätigkeit den Namen: „Apostel des Nor¬
dens," wurde (831) erster Bischof von Hamburg und später (847) erster Erzbischof
der vereinigten Pisthümer Hamburg und Bremen. Sein Tod fällt in das Jahr 865.
— In Dänemark machte das Christenthum anfangs nur geringe Fortschritte, nament¬
lich wurde es durch Gorm den Alten bekämpft. Auch jener Swen, der Ethel-
red vom englischen Throne stieß, war ein heftiger Widersacher der neuen Lehre. Mit
Kan nt dem Großen aber war der Sieg des Christenthums in Dänemark entschie¬
den. — In Schweden schlug daö Evangelium noch langsamer Wurzel. Zwar nahm