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Neue Geschichte.
fuhren fort, gegen die Humanisten zu schreien. Da trat auch der hochge¬
bildete Ritter Ulrich von Hutten gegen sie auf und schrieb mit einigen
Freunden die epmloluo obscurorum virorum (Briefe der Dunkelmänner),
worin er die Dummheit und Bosheit der Pfaffen aufs witzigste geißelte.
Spottschrift Die epistolae standen nicht allein. Eine große Menge der beißendsten
ten. Spottschriften in lateinischer und deütscher Zunge bereiteten unter dem
Deckmantel eines erlaubten Scherzes den ernsten Kampf vor. Erasmus,
der übrigens jeder Spaltung der Kirche abhold war, schrieb seine „Ge¬
spräche" und sein „Lob der Narrheit" und gewöhnte so die Leser, über
viele Dinge zu lachen, an die sie bisher mit ehrfurchtsvoller Scheu gedacht
hatten. Aehnlich schrieben: Sebastian Br ant (Verfasser des Narren-
schiffeö) und der Schuster Hans Sachs, dessen Fastnachtsspiele die
Sitten und Meinungen der Zeit nicht schonten.
So war nach Gottes Rathschluß der Reformation der Weg gebahnt;
diese war aber kein Werk des Spottes, sondern ein Werk des tiefsten
Ernstes, den unser Luther auch von Anfang an zeigte. Alles, was bei
seinen Geistesverwandten Gesinnung geblieben war, das wurde bei ihm
zur großartigsten Handlung.
69. Johann Kalvin; geb. 1509, gest. 1564.
]. Vorläufiger Abschluß der deutscheu Reformatiou durch deu Augöburger ReligionS-
friedeu (1555). Reformation der Schweiz durch Ulrich Zwingli (1 1531), spätere
Umgestaltung seiner Lehre durch Johann Kalvin (geb. 1509). Kalvius Eltern.
Sein Aufenthalt in Paris; Erlangung und Wiederniederlegung einer Pfarrstelle;
daö Studium der Rechte. 2. Kalvius Fortschritte in der Rechtswissenschaft. Ab¬
lehnung der juristischen Doktorwürde. Aufenthalt in BourgeS; Wiederaufnahme der
theologischen Studien. Kalvius Anschluß au die Reformirten in Paris. Seine
Flucht aus Frankreich. 3. Kalvin in Basel, in Italien und in Genf, wo er als
Geistlicher angestellt wird (1536). Herausgabe der Katechismen. Sein Streit mit
dem Genfer Siadtralh; seine Ausweisung und spätere Zurückrufung il541). 4.
Neue Verfassung der reformirten Kirche. Das Genfer Sitteugericht. Kalvius sitt¬
liche Strenge und große Thätigkeit. 5. Servedas abweichende Meinung über die
Dreieinigkeit. Kalvin wider Serveda. Des Letzteren Flucht aus Frankreich und Ge¬
fangennahme in Genf. Die Anklage, Verurlheiluug und Hinrichtung. Mißbilliguug
solchen Verfahrens durch viele Reformirte. 6. Genfs Ansehen zur Zeit des Kalvin.
Die Züricher Uebereiukuuft. Kalvin 1 (1564).
1. Luther setzte in Deutschland die Reformation durch,- welche nach
verschiedenen Bewegungen, Wechselfällen und Kämpfen einen vorläufigen
Abschluß in dem Augsburger Religionsfrieden (1555) erhielt. Was
Luther in Deutschland gewesen war, das wurde Ulrich Zwingli (ch 153 l)
für die Schweiz; nur erfuhr die Lehre desselben durch einen späteren Re¬
formator, durch Johann Kalvin, manche Umgestaltung.
Kalvin wurde am IO. Juli 1509 zu Noyon ^) in Frankreich ge¬
boren. An seinem Vater, einem königlichen Beamten, hatte er ein Bei¬
spiel großer Entschiedenheit und Selbstständigkeit, an seiner Mutter ein
I. Kalvin Vorbild tief religiösen Sinnes. Etwas herangewachsen, kam Kalvin nach
als Pfarrer. Paris, um daselbst eine öffentliche Schule zu besuchen. Bei seiner Ge¬
lehrigkeit und seinem außerordentlichen Fleiße erhielt er bald gebührende
i) Noyon, Stadt in der Provinz Iste de France, nordöstlich von Paris.