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Neue Geschichte.
folgten, welche ihm beim Aufstehen und Ankleiden behilflich gewesen
waren.
Der Glanz des französischen Hofes erfüllte ganz Europa mit blinder
Verehrung und verleitete fast alle Fürsten, besonders die deutschen, zur
lächerlichsten Nachäffung. Jeder Fürst wollte ein Ludwig im Kleinen sein;
jeder bildete ein besondern Hof, wo in Pracht und Verschwendung, in
Sitten und Moden, in Sprache, Literatur und Kunst der französische
Hof als Vorbild galt. Mit dem Hofe nahm auch der Adel in Deutsch¬
land die französische Sprache an und schämte sich der guten alten Mutter-
Bildungs- spräche. Paris galt als Mittelpunkt der europäischen Kultur, der feineren
re|jfu ”ctc^ und höheren Lebensvildung; aus allen Gegenden von Deutschland wurden
>aiu- sogenannte Bildungsreisen dahin gemacht. So verbreitete sich das prunkende
verweichlichende Frauzosenthum immer weiter über die höheren Stände;
kaum noch blieben die unteren Volksklassen dem ernsten und biederen Sinne
ihrer Voreltern getreu und retteten vaterländische Sitten und Gebräuche
vor fremder Ansteckung.
4. Ludwigs XIV. Eroberungssucht und Un du ldsamkeit.—
Die gebietende Stellung, welche Ludwig im Innern seines Reichs einnahm,
wollte er auch gegen seine Nachbarn, ja gegen ganz Europa durchsetzen.
Nach außen trat er deshalb als Eroberer auf und brachte so unendliches
Weh über sein Land, ja über die ganze Menschheit. In den Kriegen
stand ihm meist das Glück zur Seite, doch wurden die Schlachten nicht
durch ihn, sondern durch seine ausgezeichneten Generale: Luxemburg,
Schomburg, Katinat, Vendomeund Tür enne geführt. Die
Friede zu Friedensschlüsse, welche in Ludwigs XIV. Regierungszeit fallen, sind
Nimwegen ver w e st fä l isch e Friede (1648), der Friede zu Ni mw e g en *) (1678),
^?iN"Rhswiki) (1697), Utrecht (1713), Rastadt (1714) und Baden
^Utredst ' dlargau in der Schweiz (1714). Fast eben so sehr wie durch Erobe-
1713 Ra- rungSsucht schadete Ludwig XIV. seinem Land durch Unduldsamkeit gegen
stadl'und die Kalvinisten. Wegen Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) verlor
Baden eS mehr denn eine halbe Million betriebsamer Einwohner, die in den
1714. benachbarten Staaten (Schweiz, Rheinpfalz, Brandenburg, Holland,
England) eine freundliche Aufnahme fanden. — Als Ludwig XIV. am
1. September 1715 starb, da jubelte das Volk, das er während seiner
72jährigen Regierung nicht nur arm gemacht, sondern auch der Sittlich¬
keit und alles Vertrauens beraubt hatte laut bei der Nachricht^von seinem
Tode. Der Pöbel verfolgte sogar den Leichenzug des Königs nach St. DeniSi)
mit solchem Unwillen, daß man genöthig war, Seitenwege einzuschlagen.
76. Preußen: Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst (1640
—88), und seine nächsten Nachfolger.
1. Belehnung Friedrich's von Hohenzollern mit der Mark Brandenburg (1415).
Verwandlung des Herzogthums Preußen in ein weltliches Besitzlhum (1525). Ueber-
gang des Herzogthums Preußen von der fränkischen Linie der Hohenzollern an die
brandenburgische (1618). Kurfürst Georg Wilhelm (1619—40) und der 30jährige
i) Nimwegen, Stadt im jetzigen Holland, an der obern Waal (südlichem
Arm des Rheins). — Ryswik, holländisches Schloß, 1 Stunde südlich von Haag.
— St. Denis, Stadt unweit des rechten Ufers der Seine, 2 Meilen unterhalb
Paris.