Full text: Preußisch-deutsche Geschichte vom Jahrhundert Friedrichs des Großen bis zur Gegenwart (Teil 3)

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Provinzen erstürmten die Bauern die Schlösser des Adels, und viele vom Adel, 
die königlichen Prinzen an der Spitze, wanderten aus, um in andern Ländern 
wenigstens ihres Lebens sicher zu sein. Ihre Guter wurden als National¬ 
güter verkauft. Es wurde eine neue, nur aus Bürgern bestehende National¬ 
garde eingerichtet; der König selbst reiste nach Paris und zeigte sich mit 
der dreifarbigen Kokarde, dem neuen Nationalzeichen, am Hut, vom Söller des 
Rathauses dem versammelten Volke, dadurch seine Zustimmung zu dem Ge¬ 
schehenen ausdrückend. Von da an schwiegen Gesetz und Ordnung; die Empö¬ 
rung herrschte in der Hauptstadt wie in den Provinzen. 
3. Neuerungen der Nationalversammlung. Bald ging die 
Nationalversammlung an die Lösung ihrer Aufgabe, alte Übelstände zu ver¬ 
bessern und der Not des Staates abzuhelfen. Da ihr jedoch von der Regierung 
keine Vorlagen gemacht wurden, so verfuhr sie plan- und ziellos, übereilte 
sich in gewaltsamen Neuerungen und suchte ans einmal umzustürzen, was nur 
nach und nach geändert und verbessert werden konnte. Zuerst mußte der Adel 
allen aus dem Mittelalter stammenden Rechten entsagen, auf die Frondienste 
und Abgaben der Bauern verzichten und das Jagdrecht und die damit ver¬ 
bundene barbarische Bestrafung der Jagdfrevler und die gutsherrliche Gerichts¬ 
barkeit abtreten. Die Geistlichkeit mußte auf die Entrichtung des Zehnten 
verzichten; die Kirchengüter wurden als Staatseigentum erklärt und zum Ver¬ 
kauf ausgeboten, die Klöster und Mönchsorden aufgehoben und vollkommene 
Religionsfreiheit gewährt; die Geistlichen sollten vom Volke gewählt, nicht mehr 
vom Bischof eingesetzt werden, auch sollten sie den neuen Bürgereid leisten und 
sich dadurch vom Papste lossagen. Die Macht des Königs wurde sehr 
beschränkt, seine Rechte wurden ans das geringste Maß herabgedrückt. Die 
Nationalversammlung sollte nicht unter, sondern neben dem Könige stehen, 
so daß er ihr eigentlich nichts zu befehlen hatte und ihm fortan nur noch 
ein Schein früherer Macht verblieb. So befand sich der König in der unglück¬ 
lichsten Lage; seine Befehle wurden gar nicht mehr gehört, denn auch die 
Soldaten verbanden sich mit dem Volke. Alle Standesunterschiede wurden auf¬ 
gehoben, Titel, Wappen und andere Bezeichnungen der Standesunterschiede ab¬ 
geschafft, der Adel aufgelöst und die Gleichheit aller Bürger ausge¬ 
sprochen, so daß jeder, auch der bisher Vornehmste, nur mit „Bürger" ange¬ 
redet werden sollte. Die großen Güter der Kirche und des Adels wurden ver¬ 
kauft, so daß dadurch auch der Bürger- und Bauernstand Grundeigentum 
erhielt. Ebenso wurde Gleichheit des Maßes, Gewichtes, Münz¬ 
fußes und Gleichförmigkeit des Gerichtswesens eingeführt. Das Land, 
das bisher in Provinzen zerfiel, erhielt eine neue Einteilung in 83 nach 
Flüssen, Gebirgen usw. benannten Kreisen oder Departements, Um die 
Schulden zu tilgen, wurde eine Menge Papiergeld in Umlauf gesetzt, das
	        
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