V. Die deutsche Kultur von 1648—1740.
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Auch die Erziehung hatte Rückschritte gemacht. Wieder
war an niedern wie an hohen Schulen ein totes, rein gedächt¬
nismäßiges Buchstaben wissen, ein mechanisches Lehrverfahren
und eine barbarische, rohe Schulzucht üblich geworden. Dem
gegenüber traten schon in der ersten Hälfte des 17. Jh. Be¬
strebungen hervor, eine bessere, den Forderungen der Psychologie
mehr entsprechende Methode auszubilden, an die Stelle des toten
Verbalismus die lebendige Anschauung und das eigene Nachdenken
der Schüler zu setzen und die Schulzucht menschlich und ver¬
nünftig zu gestalten, ln diesem Sinne wirkte, wenn auch ohne
bedeutende Erfolge, Joh. Wolfg. Ratke (Ratichius) (f 1635) in
Köthen. Weit bedeutender ist Joh. Amos Comenius (Komensky)
(geb. 1592 in Mähren, *f- 1670 in Amsterdam), der nach seiner Ver¬
treibung aus der Heimat in Lissa in Polen, in England, Schweden,
Ungarn und Holland tätig war. In der „Janua linguarum
reserata“ (Die geöffnete Sprachentür), die später als „Orbis pic-
tus“ (Die gemalte Welt) mit Bildern ausgestattet wurde, knüpfte
er den Lateinunterricht an realistische Stoffe; die „Didactica
magna“ (Große Unterrichtslehre) wurde maßgebend für alle spätere
Pädagogik. Unter Ratkes und Comenius’ Einfluß entstanden im
17. Jh. mehrere Schulordnungen, unter denen die Gothaische
„Schulmethodus“ des Herzogs Ernst des Frommen (1642) be¬
sonders hervorzuheben ist.
Um die Wende des 18. Jh. begann auch sonst ein neuer
Geist sich zu regen. Wohl ragte die erhabene Gestalt eines
Leibniz zu einsamer Größe empor, der als Philosoph, Natur¬
forscher, Mathematiker, Geschichtsforscher, Politiker und Jurist
an Universalität kaum seinesgleichen findet. Immerhin aber
zeigten sich durchweg in der Dichtung wie in der Wissenschaft
und Religion Ansätze zu Besserem. Samuel v. Pufendorf
wurde der Begründer des Naturrechts in Deutschland, das zu¬
erst Hugo Grotius (§ 22) in Holland gelehrt hatte; Christian
Thomasius bekämpfte im Sinne praktischer Aufklärung allen
Schul- und Geisteszwang; Philipp Jakob Spener, der Begründer
des Pietismus, erfüllte die erstarrte Theologie mit neuem Geiste;
in seinem Sinne wirkte Aug. Herrn. Francke in Halle und schuf
hier, von kleinen Anfängen aus, die großartigen „Stiftungen“;