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die Germanen seien bereits im Anmarsch auf Rom, während sie
doch, Zufrieden, das Land befreit zu haben, gar nicht daran dach-
ter, ihren Sieg weiter Zu verfolgen.
Augustus selbst konnte sich mehrere Tage lang nicht von
seinem Schrecken erholen, er ließ Niemanden vor sich, rannte
mit dem Kopfe gegen die Thürpfosten und rief verzweiflungs-
aus: „Varus, Varus, gieb mir meine Legionen wieder!" Die
deutsche Leibwache ließ er auf die Inseln abführen, alle Deut¬
schen aus Rom verweisen und ordnete sofort eine Aushebung
neuer Truppen an, die mit großen Schwierigkeiten verbunden
war und zwangsweise ausgeführt werden mußte, da Viele den
Kriegsdienst verweigerten. Mit dem so zusammengebrachten
Heere sandte er den Tiberius an den Rhein. Derselbe begnügte
sich aber damit, einen kurzen Streifzug in Deutschland zu ma¬
chen, und dachte nicht daran, das Verlorene wiederzuerobern.
Rach Augustus Tode unternahm es Germanicus, Drusus Sohn,
neue Züge nach Deutschland zu machen, vom Jahre 14—17 n.
Chr. G., die aber ihren Zweck, Germanien von neuem zu un¬
terjochen, nicht erreichten; auch mißbilligte Tiberius, der in der
Zeit zur Regierung gekommen war, diese Unternehmungen, die
viel Geld und Blut kosteten, und berief ihn daher vom Con-
mando ab. Der letzte dieser Züge war übrigens der bedeutendste
und verdient eine genauere Darstellung.
Germanicus ließ sein Heer auf Schiffen zur Emsmündung
bringen, marschirte dann an diesem Flusse hinauf und wandte
sich zur Weser, wo Hermann mit seinen Deutschen in der Nähe
der jetzigen Stadt Oldendorf stand.
Im römischen Heere diente sein Bruder, der den Namen
Flavius angenommen hatte; mit ihm wünschte Hermann eine
Unterredung, und dieselbe fand in der Weise statt, daß die bei¬
den Brüder durch den Fluß getrennt waren. Als Hermann
dem Flavius seinen Abfall von der deutschen Sache vor¬
warf, wurde dieser dadurch so gereizt, daß er nur mit Mühe
zurückgehalten werden konnte, durch den Fluß zu setzen und sei¬
nen Bruder anzugreifen. Germanicus ließ nun eine Brücke schla¬
gen, führte das Heer hinüber und lieferte den Deutschen die
berühmte Schlacht in der Ebene von Jdistavisus, oder wie der