83. Entstehung der Mell und der Götter.
Von 6. falcb.
Deutsche Göttergeschichte. 2. Auflage. Leipzig und Berlin 1904. S. 1.
3m Anfang war weder Sand noch Meer, nirgends fand man die
Erde noch den Himmel; es war die Kluft der Klüfte, der gähnende
Abgrund, Ginnungagap. In ihm lebte der Geist Allvaters, und er machte,
daß in dem unermeßlichen Raume zwei Welten entstanden: Nifelheim
im kalten, dunkeln Norden und Muspelheim im warmen, lichten Süden.
Da füllten zwölf Ströme aus Nifelheim den Abgrund, das Wasser
erhärtete zu Eis und schob sich hin und her in der unermeßlichen Tiefe;
in der Nähe von Muspelheim aber lösten die warmen Winde wieder
das Eis. Die schmelzenden Tropfen erhielten Leben durch den, der die
Wärme sandte, und es entstand der Riese Amir, der Tosende. Seine
Kinder sind die bösen Hrimthursen, die Eisriesen.
Aber noch anderes Leben erzeugte die Wärme. Denn da das Eis
weiter auftaute, entstand die große Kuh Audhumbla, die Milchreiche, die
zu ihrer Nahrung salzhaltige Eisblöcke beleckte, und von deren Milch sich
chmir nährte. Als die Kuh die Eisblöcke weiter beleckte, da kam am
Abend des ersten Tages eines Mannes Haupthaar hervor, am zweiten
Tage das Haupt eines Mannes und am dritten ein ganzer Mann. Dessen
drei Söhne sind Odin, Will und We. Da diese auch eine Welt ins
Dasein rufen wollten, gingen sie zu Amir und erschlugen den Riesen.
Eine solche ungeheure Menge Blutes strömte aus seinem Leibe, daß eine
allgemeine Flut entstand, in der alle Riesen mit Ausnahme eines einzigen
ertranken. Der rettete sich mit seinem Weibe in einer Wiege und wurde
der Stammvater eines neuen Riesengeschlechts. Dann bildeten die drei
aus seinem Leibe Himmel und Erde: aus dem Blute Meer und Wasser,
aus dem Fleische das Erdreich, aus den Knochen die Berge, aus den
Porger-Lemp, Lesebuch. VI. 7