Object: Lesebuch für evangelisch-lutherische Schulen

in Worten unb Werken, 
29 
Gott!" Dessert Tochter nun bewegte zuerst Himmel und Erde, 
wie nian zu sagen pflegt, um die Befreiung ihres Gemahls zu be¬ 
wirken. Aber der Kaiser — er hieß Maximilian II. und war 
sonst ein milder Herr — dieser Kaiser dachte: „Ordnung müsse im 
deutschen Reiche sein, und wenn die Ordnung von den Fürsten selbst 
gestört werde, wie dies in den Grumbachischen Händeln vom 
Herzoge Johann Friedrich geschehen war, so sei das um so 
schlimmer, und man müsse da ein Beispiel hinstellen, Andern zur 
Warnung, und so oft und von wem er nun gebeten werden 
mochte, den Herzog frei zu lassen, so oft sagte er: Nein! und 
endlich wagte kein Mensch mehr, ihn darum zu bitten. Da wäre 
nun der arme Gefangene gar bald von den Menschen vergessen 
worden, denn man pflegt richtig zu sagen: „Aus den Augen, ans 
dem Sinn", wenn nicht Elisabeth einen neuen Weg eingeschla¬ 
gen hätte, ihrem Manne zu helfen. Sie flehte jetzt anfs Beweg¬ 
lichste, daß man dem Gefangenen doch mehr Bequemlichkeit in seinem 
Kerker vergönnen möge, und weil der Kaiser eigentlich ein weiches 
Herz hatten so drang sic mit dieser Bitte durch. Ermuthigt durch 
diesen Erfolg rückte sie nun mit der Bitte hervor, deren Erfüllung 
das eigentliche Ziel aller ihrer Bitten war, womit sie aber als eine 
kluge Frau nicht sogleich den Anfang hatte machen wollen, sie bat, 
mit ihrem Gemahl die Gefangenschaft theilen zu dürfen. Der Kaiser 
aber meinte, eine Gefangenschaft in Gesellschaft einer so lieben- 
würdigen »nd tugendhaften Frau sei eigentlich keine rechte Strafe 
für solche Verbrechen, und er sagte wieder: Nein. Weil aber Eli¬ 
sabeth in der Schrift gelesen hatte von einer armen Wittwe, die 
einen ungerechten Richter, einen Richter, der sich weder vor Gott 
noch vor Menschen filrchtete, doch dahin brachte, daß er sie rettete, 
weil sie ihn anfs Blut mit Bitten quälte, so ließ auch sie nicht 
nach, und ihre späteren Bitten waren immer dringender als die frü¬ 
heren und endlich im Jahre 1572 öffnete der Kaiser seinen Mund 
zu einem Ja, und Elisabeth sagte nun der Welt Lebewohl, um in 
den engen Mauern des Kerkers zu Wien mit ihrem Manne zu lebcn- 
und zu sterben. Mit innigster Freude empfing sie Johann Fried 
rich. Er hatte seine Frau von jeher geliebt, aber eigentlich nur, 
weil Elisabeth eine schöne und verständige Frau war; nun sollte 
er den rechten Glanz dieser Perle, den süßen Kern dieser an 
Gottes Wort und Gnade gleich als an einer Sonne gereiften 
Frucht kennen lernen. Sie pflegte seiner, sie tröstete, sie erheiterte 
ihn, und er vergaß sein Unglück. Sie legte ihm das Evangelium 
aus von der Gnade Gottes in Christo und dem Frieden mit 
Gott durch Christum; sie stärkte ihn im Glauben und in der Hofs-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.