Full text: Anschaulich-ausführliches Realienbuch

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-ihnen tröstende Worte sagte! Sie waren stolz auf ihren „Fritz", und er hielt 
es für eine Ehre, so brave Truppen zu kommandieren. Nach Jahren noch er¬ 
kannte der Kronprinz Soldaten wieder, mit denen er im Felde persönlich in 
Berührung gekommen war. 
Einmal ging er in Berlin im sogenannten Kastanienwäldchen spazieren. Da be¬ 
gegnete ihm ein schlichter, mit der Kriegsdenkmünze von 1870—71 geschmückter Bürgers¬ 
mann. Dieser zog den Hut und rief ihm einen freundlichen „Guten Morgen" entgegen. 
„Kennen Sie mich denn, lieber Mann?" fragte der Kronprinz den Fremden. Erfreut 
trat dieser näher und sagte: „Gewiß, Kaiserliche Hoheit! Wer sollte .unsern Fritz' nicht 
kennen!" Der Kronprinz sah ihn scharf an und fuhr fort: „Ich kenne Sie auch. Haben 
Sie mir nicht bei Wörth, dort unter den drei Linden, in der Nähe eines kleines Bauern¬ 
häuschens, eine Pfeife Tabak geschenkt?" „Das stimmt," sagte der Angeredete etwas 
verlegen. Der Kronprinz holte ein Goldstück hervor, überreichte es dem ehemaligen 
Soldaten und sagte: „Das ist für den Tabak!" (Deutsche Jugend 3: Der Kronprinz 
und der Fähnrich.) 
4. Erkrankung. Von jeher war Friedrich der Liebling des deutschen Volkes. 
Doch auf Erden ist kein Glück vollkommen. Schon zu Anfang des Jahres 1887 
stellte sich ein Halsleiden bei ihm ein, das sich besonders in andauernder Heiser¬ 
keit äußerte. Infolgedessen begab er sich nach dem Süden und suchte Heilung 
in der milden Lust Italiens. Aber die Geschwulst im Halse nahm leider der¬ 
artig zu, daß der Luftröhrenschnitt vorgenommen und eine silberne Röhre zum 
Atmen eingesetzt werden mußte. Wie der Kronprinz sich als ein Held auf dem 
Schlachtfelde gezeigt hatte, so war er auch ein Held auf dem Krankenbette. Nie 
klagte er, stets schaute er hoffnungsvoll zu dem Helfer in aller Not empor. 
5. Thronbesteigung. Am 9. März traf ihn die erschütternde Nachricht vom 
Tode seines Vaters. Nun hielt es ihn nicht länger vom Vaterlande fern. Er 
entschloß sich sofort zur Heimkehr. Den Ärzten, die ihn dringend baten, die Reise 
noch aufzuschieben, sagte er: „Und wenn ich unterwegs sterben müßte, ich kehre 
doch zurück." 
6. Tod. Doch nur wenige Tage noch waren dem edlen Kaiser beschieden. 
Die Krankheit wurde so bösartig, daß alle Hoffnung aus Besserung schwand. 
Aber mit größter Geduld ertrug er alle Leiden. Seinem Sohne, unserem 
Kaiser, schrieb er auf einen Zettel: „Lerne leiden, ohne zu klagen, das ist das 
beste, was ich dich lehren kann." Am Tage vor seinem Tode hatte die zweit¬ 
jüngste Tochter des Kaisers ihren Geburtstag. Als sie zu ihm kam, um sich den 
Glückwunsch des geliebten Vaters zu holen, schrieb er ihr ins Stammbuch: 
„Bleibe fromm und gut, wie du bisher warst; das ist der letzte Wunsch deines 
sterbenden Vaters." Die Kräfte des Kaisers sanken von Stunde zu Stunde, 
und am Vormittage des 15. Juni fand der königliche Dulder endlich Erlösung 
von seinem furchtbaren Leiden. (Deutsche Jugend 4: Die Wasserrosen des Kaisers, 
und 5: Aus dem Leben des Kaisers Friedrich.) 
54* Kaiser Mlkelm II. 15. Juni 1888. 
1. Jugend. Kaiser Wilhelm II., der älteste Sohn des Kaisers Friedrich III., 
wurde am 27. Januar 1859 geboren. Zugleich mit den ersten Lese- und 
Schreibübungen begannen auch die Übungen im Exerzieren. Durch den Eifer, 
den er bei den soldatischen Übungen an den Tag legte, wurde er bald der
	        
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