Full text: Anschaulich-ausführliches Realienbuch

11 
graben begrenzt wurde. Auf der einen Seite dieses Grabens stand der Richter, auf der 
anderen das Volk. Beim Beginn des Gerichts rief der Büttel: Gy herren, gad in de 
achte (Gericht)! Hierauf traten die Ankläger vor. Auf der höchsten Stelle des Fem- 
grabens saß der Femgraf, ihm zur Seite die Ratsherren und 12 Schöffen. Der Fem- 
fchreiber rief nun die des Diebstahls Angeklagten auf. Wer leugnete, mußte seine Un- 
schuld beschwören, bei einer zweiten Anklage konnte er sich dadurch retten, daß sechs 
Eideshelfer seine Unschuld beschworen, bei der dritten mußte er sich dem Gottesurteil 
unterwerfen und ein glühendes Eisen in der Hand neun Fuß weit tragen. 
26. Hexen und Hexen pro? esse. 
1. Hexenglaube. In der finsteren Zeit des Mittelalters war der Glaube 
an Hexen in ganz Deutschland verbreitet. Die Hexen, so glaubte man, gäben 
sich dem Teufel ganz zu eigen und verschrieben sich ihm mit ihrem Blute. 
Dafür verliehe er ihnen die Gabe, dem Nächsten Böses zuzufügen. So könnten 
sie durch ihren bösen Blick Menschen und Tiere krank machen oder Ungewitter, 
Hagel und Unfruchtbarkeit des Feldes herbeiführen. Ans dem Brocken fände 
jährlich in der Walpurgisnacht (1. Mai) eine Hauptversammlung statt. Die 
Hexen flögen dann auf Böcken, Gänsen, Besen, Ofengabeln, Stöcken, Spinnrocken 
u. dgl. zum Schornstein hinaus durch die Luft zum Brocken. Hier schmausten 
sie im Beisein des Teufels, der in Bocksgestalt auf der Hexenkanzel säße, tränken 
aus Kuhklauen und Pferdeschüdeln und hielten dann ihre Hexentänze ab. Dieser 
Spuk ende erst mit Tagesgrauen, worauf die Hexen wieder heimflögen. 
2. Verfolgung. Mit größter Strenge wurden die Hexen vom Staat und von 
der Kirche verfolgt. Triefende Augen, Verdacht der Ketzerei, Erfüllung einer 
ausgesprochenen Drohung und ähnliche, oft ganz unbedeutende Dinge waren ge¬ 
nügend, eine Frau vor das Gericht zu bringen. Leugnete sie, ein Bündnis mit 
dem Bösen zu haben, so wandte man die „Hexenprobe" an. Man unterschied 
die Wasser-, Wage- und Tränenprobe. Bei der Wasserprobe wurde der Un¬ 
glücklichen der rechte Arm mit dem linken Fuß und der linke Arm mit dem 
rechten Fuß zusammengebunden; so wurde sie dann an einem Strick „1% Ellen" 
tief in das Wasser hinabgelassen. Sank sie nicht unter oder erschien sie gleich 
wieder an der Oberfläche, so galt sie als Hexe; denn das Wasser (als durch die 
Taufe geweiht) nahm sie nicht auf. In der Nähe von Utrecht war vom Kaiser 
Karl V. eine Wage aufgestellt worden, auf der die Hexen gewogen wurden. 
Ein Gewicht unter 40 kg hatte Verurteilung zur Folge. Man glaubte nämlich, 
die Hexen verlören ihre natürliche Schwere. Die Tränenprobe gründete sich auf 
den Glauben, daß die Hexen nicht weinen könnten. Man verursachte der ver¬ 
dächtigen Person alle möglichen Schmerzen, kamen aber bei ihr keine Tränen 
zum Vorschein, so galt sie als Hexe. Später wandte man auch die Folter oder 
Tortur an und suchte durch Daumen- und Beinschrauben, durch Kneifen mit 
glühenden Zangen usw. das Geständnis von der Angeklagten zu erzwingen. Die 
Tortur wurde in Braunschweig zum letzten Male im Jahre 1771 in den Folter¬ 
kammern des Altstadtrathauses gegen den Bürger Adam Riechers angewandt. — 
Wer so der Hexerei überführt war, der wurde auf dem Scheiterhaufen ver¬ 
brannt. Über 100000 Unglückliche, meistens Frauen, sind diesem Schicksal ver¬ 
fallen. Vor Braunschweig standen so viel angekohlte Hexenpfähle, daß sie einen 
„kleinen Wald" bildeten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.