180 IIL Die sittlichen, wirtschaftlichen u. kulturellen Grundlagen d. Gewerbes.
halten, so dürft ihr diesen Vereinen einen Wechsel ausstellen, weil von
ihnen ein Mißbrauch des Wechsels nicht zu befürchten ist.
Elsässer Lesebuch u. Landw. Zentralverein Kassel.
Eine übereilte Unterschrift ist schon manches redlichen Mannes Unglück
geworden. — Bütet euch vor denen, die in Schafskleidern zu euch kommen, in—
wendig aber sind sie reißende Wölfe!
130. Eine Träne.
1. Ein armer, aber geschickter Schreinermeister erhielt durch Emp—
fehlung die Arbeit in einem angesehenen Kaufmannshause. Der Kauf—
mann bestellte zur Aussteuer seiner Tochter für mehrere tausend Mark
schöne Möbel bei ihm. Der Schreinermeister, hoch erfreut, eilte nach
Haus und erzählte seiner Frau das unerwartete Glück. Als die erste
Freude vorüber war, kam der hinkende Bote nach, und die Frau stellte
die Frage: „Wo nun die bedeutende Auslage hernehmen?“ Den neuen
großen Kunden um Vorschuß bitten, das ging nicht; denn dadurch
hätte man vielleicht die ganze Bestellung rückgängig gemacht. Reiche
Freunde hatte der arme Handwerksmann nicht. Wo blieb nun eine
andere Zuflucht, eine so bedeutende Summe, die doch zur Auslage ge—
hörte, herbeizuschaffen als von einem Wucherer? Der war auch bald
gefunden. Er erklärte, nachdem er sich von der Richtigkeit der Be—
stellung überzeugt, „aus Menschenliebe“ gegen einen Wechsel für hohe
Prozente auf drei Monate das benötigte Geld herzugeben. Fleißig
arbeitete der Schreinermeister, und bald standen zwei Dutzend der
herrlichsten Stühle, ein schöner Schrank ꝛc. zum Lobe des glücklichen
Meisters fertig da.
2. In seinem Sonntagsrocke ging unser Schreinermeister neben
den Trägern her, und hoch pochte ihm das Herz vor Freude, wenn
Vorübergehende die schöne Arbeit lobten. Als man im Hause des
reichen Kaufmanns ankam, lief alles zusammen, das Neue zu beschauen.
Auch der Hausherr wurde gerufen; er lächelte beifällig und zufrieden.
„Er soll in Zukunft mein Schreiner sein; denn die Sachen sind lobens—
wert; lass' Er nur alles behutsam niedersetzen. Gott befohlen!“ Und
damit ging er aufs Kontor, der Schreiner nebst Gesellen bald darauf
aus dem Hause. ‚Meister,“ sprachen diese, „der Herr schien ganz zu—
frieden. Und wie reich muß er sein! Da hat der Meister einen guten
Kunden erhalten.“ — „Jawohl, Leute, das hab' ich, und ich bin auch
hoch erfreut darüber.“ Doch auf dem Gesichte des guten Handwerks—
mannes war eben keine Freude zu sehen. Denn er dachte daran, daß
die drei Monate in acht Tagen verflossen waren und der reiche Kauf—
mann ihm vom Bezahlen keine Silbe gesagt hatte. Wie sollte das nun
werden? Traurig saßen die beiden Eheleute zusammen. Da sprach die
Frau: „Auf, lieber Mann! Fasse ein Herz, geh zu unserem neuen
Kunden und bitte ihn um Bezahlung! Er wird doch nicht herzlos
sein, sondern uns bezahlen.“