Full text: Lesebuch für die Mittelstufe

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angesehener Mann. Linst gab er ein grosses Gastmnahl. Als 
dio Gaste sich im Zimmer versammelten, wurden sie zwei 
Dinge gewabr, über die sie sich verwunderten. Unter einem 
prũcktigen Spiegel hing ein gangz geringer Knotenstock. So- 
dann stand oben an der Tafel ein alter Stubl mit hober Lehne 
und neuem UÜberzuge. Man fragte den Herrn des Hauses, 
was das bedeute. Ur antworteteé: „Iceh batte nichts als diesen 
Stab, als ich von meiner Mutter ging. Der Stubl aber ist 
meiner lieben Mutter Spinnstubl gewesen, auf dem sie so viel 
verdient hat, dass ich die Sehule besuchen konnte.“ 
Als nun alls Gäste beisammen waren, entfernte er sich 
einen Augenblick; und als er zurückkam, führte er an seinem 
Arm ein altes gekrümmtes Mütterechen in Bauerntracht und 
setzte es auf den Spinnstubhl obenan. — Es war seine Mutter, 
die er also ehrte 
Nach J. PVr. MNöller. 
7. Rittmeister Kurzhagen. 
1. In dem Regimente des berühmten Generals von Zieten stand 
auch ein Rittmeister, mit Namen Kurzhagen. Er war klug und tapfer 
und hatte ein kindliches Gemüt. Seine Eltern waren arme Landleute 
im Mecklenburgischen. Mit dem Verdienstorden auf der Brust rückte 
er nach Beendigung des siebenjährigen Krieges in Parchim ein. Seine 
Eltern waren von ihrem Dörfchen nach der Stadt gekommen, um ihren 
Sohn nach Jahren wiederzusehen, und erwarteten ihn auf dem Markte. 
Als er sie erkannte, sprang er rasch vom Pferde und umarmte sie 
unter Freudenthränen. Bald darauf mußten sie zu ihm ziehen, und sie 
aßen allezeit mit an seinem Tische, auch wenn er vornehme Gäste hatte. 
2. Einst spottete ein Offizier darüber, daß Bauern bei einem 
Rittmeister zu Tische säßen. „Wie sollte ich nicht die ersten Wohl— 
thäter meines Lebens dankbar achten?“ war seine Antwort. „Ehe ich 
des Königs Rittmeister wurde, war ich ihr Kind.. — Der brave 
General von Zieten hörte von diesem Vorfalle und bat sich selbst 
nach einiger Zeit mit mehreren Vornehmen bei dem Rittmeister zu 
Gaste. Die Eltern des letzteren wünschten diesmal selbst, nicht am 
Tische zu erscheinen, weil sie sich verlegen fühlen würden. Als man 
sich setzen wollte, fragte der General: „Aber, Kurzhagen, wo sind ihre 
Eltern? Ich denke, sie essen mit ihnen an einem Tische?“ — Der 
Rittmeister lächelte und wußte nicht sogleich zu antworten. Da stand
	        
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