Full text: [Teil 4 = (5. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (5. Schuljahr), [Schülerband])

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Tags weiße Sterbehemden antun und sie dann in das feindliche Lager 
gehen lassen, damit sie vor dem Heerführer einen Fußfall täten. Die 
Ktnblem werde Gatt beschirmen, und es könne sein, daß durch sie der 
ganzen Stabt Gnade widerfahre. 
Nachdem die Bürger eingewilligt, begab sich der viertelsmeister selbst 
ZU Prokop und erwirkte für einen Tag Aufschub des Sturmes. Er brachte 
von Prokop einen Zettel mit, worauf stand: „vir ist bis morgen um 
diese Zeit Bedenk gebt." 
Kn dem bestimmten Tage mußten nun alle Kinder der Stabt, welche 
nicht über vierzehn und nicht unter sieben Jahren waren, sich vor dem 
Kathause versammeln, 238 Knaben und 321 Mädchen. Den Kindern 
wurde aufgegeben, daß sie, sobald sie ins Lager gekommen, mit gen 
Himmel gehobenen Händen niederfallen und Gnade, Gnade rufen sollten. 
So gingen sie hin und ihre Engel gingen auch mit. 
Die Eltern waren inzwischen in großer Zorge um die Kinder. Die 
Mütter folgten ihnen bis an einen Grt, wo sie Augenzeugen von ihrem 
Schicksal sein konnten. Als die Kinder nun unaufgehalten in das feindliche 
Lager gekommen und vor des Anführers Zelt gebracht worden waren, 
wußte sich dieser die Sache anfangs gar nicht zu erklären. Die Kinder 
taten, wie verabredet worden,' sie fielen auf die Knie und riefen: Gnade, 
Gnade! Davon ward Prokop betroffen, hieß die Kinder stille sein und 
hielt Kriegsrat, und nach einer halben Stunde gab er den Kindern die 
freundliche Zusicherung, es solle ihnen hier kein Leid geschehen. Dann 
ließ er Spielleute kommen, dazu Wein, Kirschen und dergleichen bringen 
und setzte sich mit den andern Befehlshabern mitten unter die Kinder, 
die nun ganz fröhlich um ihn herum tanzten und sangen. Nachdem sie so 
den Tag mit vieler Lustbarkeit verbracht, zogen sie des Abends wieder 
heim. Am Tore mußten sie rufen: Victoria Hussiata! Den Bürgern ließ 
Prokop durch sie zurücksagen, es solle ihnen keine Feindseligkeit von ihm 
widerfahren. Zn der Nacht brach er sein Lager ab, und am Morgen war 
kein Feind mehr zu sehen. 
Nun war große Freude in der Stadt. Oer viertelsmeister erhielt 
ein Geschenk von 200 Gulden, und man beschloß, zur Erinnerung an diese 
Kettung jährlich den 28. Juli feierlich zu begehen. Die Kinder mußten 
alljährlich an diesem Tage in Prozession an den Grt des Lagers ziehen und 
wurden mit Gbst und Belustigung erfreut. Sie bekamen die Erlaubnis, 
mit grünen Zweigen in den fänden bei klingendem Spiel ihren Aus- und 
Einzug zu halten, wobei sie riefen: Victoria Hussiata! Noch immer wird in 
Naumburg alljährlich mit großem Glanz und Festlichkeit das Kirschfest 
gehalten, und die Kinder dieser Stadt freuen sich das ganze Jahr darauf. 
Ferdinand Bäßler.
	        
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