652 98. Die zweite und dritte Theilung Polens.
sofort Schlesien bedrohen würde. Der König erkannte, daß eben so
eine Verbindung Polens mit Rußland Ostpreußen erdrücken würde und
daß, wenn Rußland allein die polnische Verfassung stürze, Polen tat¬
sächlich eine russische Provinz werde; es zeigte sich als einzig möglichen
Gewinn, sich selbst wenigstens einen Theil der neuen russischen Pro¬
vinz anzueignen, wozu Rußland auch schon seine Zustimmung in Aus¬
sicht gestellt hatte.
Als Katharina II. sicher war, daß Oesterreich in Krieg mit Frank¬
reich verwickelt werde und also Polen nicht helfen könne, beeilte sie sich,
Polen in den alleinigen Besitz ihrer Heere (96,000 Mann) zu bringen,
um dann als Herrin der ganzen Situation die lästige Einmischung der
Deutschen für immer zu beseitigen. Unter russischem Einflüsse bildete
Felix Potocki aus den polnischen Mißvergnügten eine Conföderation
zu Targowice, zum Zwecke der Beherrschung Polens, welche von
Katharina II. (als der souverainen Vertreterin der Nation) anerkannt
ward, nachdem König Stanislaus ihr, als einziges Rettungsmittel für
sich, beigetreten war. Die Conföderation, deren höchste Behörde („die
Generalität") unter der Leitung Felix Potocki's stand, erhielt ihre Ver¬
haltungsmaßregeln aus Petersburg, und nur der Raine unterschied
Polen von den übrigen russischen Provinzen.
Zu diesem fremden Despotismus trat die einheimische Anarchie:
die Targowicer waren allgemein verachtet und, da bald jedes einmüthige
Handeln aus der neuen Regierung verschwand, so faßten die Patrioten
neuen Muth, sie verbreiteten über das ganze Land eine Verschwörung
gegen die Russen und die Targowicer, traten mit den Republikanern in
Paris in Verbindung und waren besonders in Großpolen thätig, weil
die russischen Truppen so weit nicht vorgedrungen waren. Diese Be¬
wegungen, namentlich im Bunde mit Frankreich, nahm nun Preußen,
im Einverständnisse mit Rußland, zum Vorwände, um von drei Seiten
in Großpolen einzurückcn, während insgeheim schon ein neuer Thei-
lungstractat zwischen diesen beiden Mächten vollzogen wurde (23. Jan.
1793). Katharina II. hatte ihre Rolle, nach welcher sie, trotz der
eigenekr Vergrößerung, sich den Polen dennoch als Freundin und Be¬
schützerin darstellen wollte, so gut gespielt, daß die Conföderirten sich
an sie um Hülfe gegen Preußen wandten. Nachdem aber die Ratifica¬
tionen des geheimen Theilungsvertrages ausgetauscht waren, mußte die
„Generalität" unter dem Vorsitze des Königs die Wahlen zu einem
Reichstage in Grodno (möglichst weit von der preußischen Grenze) aus¬
schreiben, der die förmliche Abtretung der von den beiden Mächten ver¬
langten Landestheile aussprechen sollte. In den Wahlkörpern wurde die
allgemeine Loosung gegeben, daß Fügsamkeit gegen Katharinas Anord¬
nungen die glänzendsten Vortheile bringe, und die Bestechung spielte bei
dieser zweiten Theilung Polens 1793 eine eben so bedeutende
Rolle als die Gewalt; die meisten sahen es als reine Thorheit an,
sich eine Anerkennung nicht bezahlen zu lassen (mit 10—30 Ducaten
für den Einzelnen), die man der Gewalt doch nicht verweigern könne.