78 Geschichte der alten Welt. §. 102. 103. 
Patrizier Cincinnatus zum Dictator. Dieser war in seinem Vermögen durch 
Unglücksfälle so heruntergekommen, daß er nur noch ein Gütchen auf dem 
rechten Tiberufer besaß, welches er selbst bebaute, als der Ruf des Senats 
an ihn gelangte. Er verließ alsbald den Pflug, eilte mit der römischen Jugend, 
die sich um ihn schaarte, an den Ort der Gefahr und umstellte in der Nacht 
die Aequer. Als diese am andern Morgen, durch ein großes Geschrei auf- 
geweckt, die Lage der Dinge erkannten, mußten sie sich in Kriegsgefangenschaft 
ergeben und nach Ablieferung ihrer Waffen, ihres Gepäcks und ihrer Rosse 
und Saumthiere unter einem aus drei Speeren gebildeten Joch durchgehen. 
§. 102. Heiße Kämpfe führten die Plebejer mit den Patriziern um 
Gleichheit der Rechte. Sie verlangten vor Allem Ackergesetze, ge- 
schriebenes Recht und Theilnahme an den Aemtern. 1. Das rö- 
mische Gemeinwesen war im Besitz großer Ländereien und Weidestrecken (§. 96), 
die Eigenthum des Staats waren, deren Nutznießung aber den Patriziern 
zustand unter der Bedingung, daß sie eine Nutzungssteuer, den Zehnten vom Er- 
trag des Ackers und ein Hutgeld für die Heerben auf dem Weideland an die Staats¬ 
kasse entrichteten. Dieses Gemeinland (ager publicns) betrachteten die Patrizier 
als ihr Eigenthum, ließen es durch ihre Hörige (Clienten, Halbfreie) oder 
Sklaven bebauen und sahen sich gegenseitig durch die Finger, wenn die be¬ 
dungene Abgabe ober das schuldige Hutgelb nicht pünktlich geleistet würbe. 
Von Zeit zu Zeit verlangten nun die Plebejer Ackergesehe, 'woburch ihnen 
ein Theil des Gemeinlandes überlassen werben sollte. Aber so oft biefes An- 
suchen gestellt warb, traf es auf ben entschiedensten Widerstand. Der Consul 
486. Sp. Cassius, ein hochvcrbienter unb berühmter Mann, ber bas erste Acker¬ 
gesetz beantragte, würbe über den tarpejischen Felsen des Capitols hinab- 
gestürzt, unb die Stelle, wo sein Haus gestanden, blieb eine übe Stätte. 
§. 103. 2. Die Rechtspflege war ausschließlich in ben Hänben ber Patri¬ 
zier, bie nach bem Herkommen unb nach ungeschriebenen Gewohnheitsrechten 
llrtel unb Recht sprachen unb dabei große Willkür unb Parteilichkeit übten. 
Um nun bieser Willkür nicht länger preisgegeben zu sein, verlangten bie Plebejer 
feste, aufgezeichnete Gesetze, fanden aber bei ben Patriziern heftigen Wider¬ 
stand, Nach vielen stürmischen Kämpfen setzten es bie Volkstribünen zuletzt 
doch burch, baß Gesandte nach Großgriechenland und Athen geschickt wurden, 
um die dortigen Gesetze zu prüfen und das für bie römischen Verhältnisse 
Geeignete auszuwählen unb aufzuzeichnen. Nach ihrer Rückkehr kamen beibe 
Stände überein, baß alle Beamten (Consuln, Volkstribunen u. A.) ihre Stellen 
niederlegen unb zehn Patrizier mit unumschränkter Gewalt ausgerüstet unb mit 
der Abfassung eines neuen Lanbrechts beauftragt werben sollten. Musterhaft voll- 
451 — zogen im Austum bie neuen Beamten, von ber Zahl ber Mitglieder Decemvirn 
450. f Zehner aus fchuß) genannt, bas aufgetragene Geschäft; unb ihre Gesetze 
fanben am Ende bes Jahres bei ber Volksversammlung solchen Beifall, baß 
man zur gänzlichen Vollenbung bes Werks auch für das zweite Jahr bas 
44!>. Decemvirat bestehen ließ. Aber jetzt mißbrauchten bie patrizischen Zehn¬ 
männer ihre unumschränkte Macht zu Hanblungen ber Willkür unb Gewalt¬ 
tat. Sie wütheten mit Kerker, Gelbbuße, Bann unb Henkerbeil gegen ihre 
plebejischen Widersacher, ließen, als ein Krieg mit ben Aequcrn unb Volskern 
ausbrach, einen alten Plebejerheiben im Fctbc ermorden und führten, nach¬ 
dem ihr zweites Jahr verflossen und die Abfassung der Zwölftafelgesehe voll- 
endet war, eigenmächttg thr Amt fort. Da brachte die lüsterne Frevelthat des 
448* adelsstolzen Appius Claudius, des angesehensten unter den Decemvirn, die 
allgemeine Unzufriedenheit zum Ausbruch.' Dieser trug nämlich Verlangen nach 
der schönen Virginia, Tochter eines Plebejerführers und Braut eines andern.
	        
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