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und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff 
unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten 
Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit 
dem Hut in den Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch 
machte er sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille aus¬ 
rechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der 
Zentner um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel 
und bat ihn treuherzig um Entschuldigung. „Das muß wohl auch 
ein guter Freund von Euch gewesen sein," sagte er, „dem das Glöck¬ 
lein läutet, daß Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht." „Kannit- 
verstan!" war die Antwort. Da fielen unserm guten Duttlinger ein 
paar große Tränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal 
so schwer und wieder leicht ums Herz. „Armer Kannitverstan!" rief 
er ans, „was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich 
einst von meiner Armut anch bekomme: ein Totenkleid und ein Lein¬ 
tuch, und von all deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin 
auf die kalte Brust oder eine Raute." Mit diesen Gedanken begleitete 
er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den ver¬ 
meinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte und 
ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort 
verstand, mehr gerührt als von mancher deutschen, auf die er nicht 
achtgab. Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder 
fort, verzehrte in einer Herberge, wo man deutsch verstand, mit gutem 
Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn es ihm wieder einmal 
schwer fallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seien und 
tx so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, 
an sein großes Haus, an sein reiches Schiff und an sein enges Grab. 
Werke, 5. Aufl. 1889, Bd. I. Kevek. 
28. Der schnellste Reiter. 
Der schnellste Reiter ist der Tod; 
er überreitet das Morgenrot, 
des Wetters rasches Blitzen. 
Sein Roß ist fahl und angeschirrt, 
die Sehne schwirrt, der Pfeil erklirrt 
und muß im Herzen sitzen. 
2. Durch Stadt und Dorf, über 
Berg und Tal 
im Morgenrot, im Abendstrahl 
geht’s fort in wildem Jagen; 
und wo er floh mit Ungestüm, 
da schallen die Glocken hinter ihm, 
und Grabeslieder klagen. 
Z. Er tritt herein in den Prunkpalast, 
da wird so blaß der stolze Gast 
und läßt von Wein und Buhle. 
Er tritt zum lust’gen Hochzeits¬ 
schmaus, 
ein Windstoß löscht die Kerzen aus, 
bleich lehnt die Braut im Stuhle.
	        
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