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III. Länder- und Völkerkunde. A. Europa. 
zergrenze durch das ganze Land, der erste und größte vom Oetztha 
aus durch alle angrenzenden Nebenthäler, der zweite östlich vom Bren¬ 
ner durch zahlreiche Thäler über das Tauerngebirge bis zum Groß- 
Glockner; der dritte vom Hochgebirge zwischen der Ädda und der Etsch, 
rings um den Ortles, bis in die Gebirge des bündtnerischen Inn und 
der A d d a. In ewiger unbelauschbarcr innerer Thätigkeit wachsend, 
sich ausbreitend und vorrückend, bilden sie den erhabenen Gegenstand 
unzähliger Sagen und Geschichten von vernichteten Ortschaften der 
Thalregion, von versunkenen Menschen, von ansgegosscnen Seen und 
Wildbächen. In ihrem Gebiete donnern auch die furchtbaren Lawinen 
oder Lahnen, welche der Wanderer, der seinen Stab nur im Sommer 
auf diesen Boden setzt, gewöhnlich nur vom Hörensagen kennen lernt. 
Auch bei ihnen hat die Zahl „Drei" ihre Bedeutung, denn auf drei¬ 
fache Art find sie der Schrecken der Bewohner. Da lösen sich Schnee- 
thcilchcn dnrch's eigene Gewicht ab, und vergrößern sich im Falle, und 
schieben sich, langsam und gemessen, Alles vor sich her ausleckend, mit 
fürchterlichem Gepolter ins Thal hinab; das sind die Schncelahnen. 
Oder die Schneemasse an gewissen Plätzen, welche fast jährlich dieses 
Schauspiel darbieten, schält sich los, und zerfliegt, im donnernden Sturz, 
in perlenden Schneestaub; das sind die Staublahnen. Oder die Schnee¬ 
lasten schmettern, von fürchterlichen Stürmen beflügelt, schon durch den 
Luftdruck Alles zerschellend und erdrückend, mit Blitzesschnelle von den 
Höhen herunter, indem sie Bäume wie Halme knicken, Hütten wegfegen, 
Felsen zersplittern, und überall die gränelvollen Spuren ihrer unwider¬ 
stehlichen Sturzkraft zurücklassen; das sind die Windlahnen, die trockenen 
und die nassen, letztere noch gefährlicher, weil sie sich nicht, wie jene, 
auf die höchsten Gebirgsgegenden allein beschränken. Eine ähnliche Er¬ 
scheinung sind die Erdfülle, auch Grund- oder Berglahnen (trockene 
Murren) genannt, welche eine Folge des, in Tirol so häufig vorkom¬ 
menden, Gebirgsschuttes sind. Sie reißen sich in gewaltigem Umfange 
los und übersanhen, im quetschenden Sturze Alles vor sich hcrschiebend, 
die fruchtbarsten Ebenen, oder sie verdämmcn, was noch gefährlicher ist, 
das Bett eines Gicßbaches und schwellen ihn zum See an, welcher, 
zuletzt seine Borde sprengend, den Schutt mit sich fortreißt, und den 
Thalboden mit Fluten und Steingcröll überschwemmt. Furchtbarer als 
diese Murren, welche nur kleinere Strecken treffen, sind die schauerlichen 
Bergstürze, unter deren Last ganze Ortschaften ihr thränenwerthes Grab 
finden, und manche unregelmäßigen Hügel und manche kargbewachsenen 
Anhöhen bergen unter ihren ausgewaschenen Kalkblöcken die Gebeine 
unglücklicher, in banger Verzweiflung verschmachteter Bewohner. 
So wie Tirol drei Hauptgebirgszüge hat, so zählt es auch drei 
Hauptthäler: das Innthal, das längste, das Etsch that, dem 
Flächen-Inhaltc nach das bedeutendste, und das rauhe Pusterthal. 
An diese Thäler schließt sich eine Anzahl von Neben- und Zuthälern 
an, deren jedes seine eigenthümlichen Naturschönheiten, Sitten, Gewohn¬ 
heiten, Sagen und Erzeugnisse aufzuweisen hat, in welchem Wechsel
	        
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