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3. Aus unsern Kolonien.
215. Aufgabe und Bedeutung der deutschen Schutzgebiete.
1. Die Sorge um die deutschen Auswanderer hat den ersten Anstoß
zur Erwerbung deutscher Kolonien gegeben. Schweren Herzens sahen
deutsche Staatsmänner alljährlich viele, viele Tausende von Heimatmüden
hinausziehen und ihr Kapital, ihre Arbeitskraft, ihre sittliche und geistige
Kultur fremden Völkern zugute kommen. Welcher Gewinn für das Vater¬
land, wenn all. diesen Fahnenflüchtigen jenseit des Ozeans in deutschen
Gebieten gastliche Unterkunft geboten werden konnte!
Dazu gesellte sich die für eine christliche Großmacht wie Deutschland
immer stärker hervortretende Verpflichtung, den Sendboten des Glau¬
bens, die schutzlos in unzivilisierten Ländern ihre ausopferungsvolle Wirk¬
samkeit entfalteten, mit starkem Arme die Pfade zu ebnen.
Auch das in der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts nach
langen Zeiten der Schwäche bei uns mächtig erwachende nationale Selbst¬
bewußtsein, der Stolz auf unsre deutsche Art und unsre hoch¬
entwickelte Kultur, brach nach und nach der Anschauung Bahn, daß
es eine hohe Aufgabe für uns sei, der Welt den Stempel deutschen Wesens
mehr und mehr aufzuprägen.
2. Hierzu gesellten sich Erwägungen rein praktischer Art. Der stetig
zunehmende Umfang des deutschen Handelsverkehrs mit dem überseeischen
Auslande erregte den Neid und den Widerstand der weniger glücklichen
Mitbewerber und erforderte daher je iäitger, je mehr einen stärkeren Schutz
unsrer Handelsflotte durch eine vermehrte deutsche Kriegsmarine wie durch
Schaffung deutscher Stützpunkte an den Küsten der überseeischen Länder.
Ferner erwogen einsichtige Volkswirte, daß Deutschland für kolo¬
niale Genußmittel, wie Kaffee, Tee, Kakao, und für allerhand Roh¬
stoffe, deren unsre Industrie zur Herstellung fertiger Handelsartikel bedarf,
alljährlich fünfhundert bis tausend Millionen Mark an fremdländische
Kolonien zahlte. Dadurch schwächte es sein Nationalvermögen und befand
sich außerdem hinsichtlich dieser notwendigen Erzeugnisse in beschämender
und gefährlicher Abhängigkeit vom Auslande.
Umgekehrt mahnte die ungeahnte Entwicklung der deutschen Industrie
in den letzten fünfzig Jahren, Ausschau zu halten nach Gebieten, die sich
willig dem Absatz deutscher Handelserzeugnisfe öffneten und die Bekämpfung
fremder Konkurrenz erleichterten. Länder, über denen die deutsche Flagge
weht, mußtell hierzu vor allen andern geeignet erscheinen.