Der Wald. B. Der Nadelwald.
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die Beine gänzlich; dagegen besitzt sie eine große Anzahl von Rippen, welche
zur Fortbewegung dienen. Sie bewegen sich nämlich in seitlichen Wellenlinien
und stemmen dabei die einzelnen Bauchschilder gegen den Boden. Der Oberkiefer
ist nur durch Knorpel mit dem Schädel verbunden und die Äste des Unterkiefers
durch ein sehniges Band; daher kann sie den Rachen bedeutend erweitern und
dickere Tiere, als sie selbst ist, verschlingen. In dem Rachen (Fig. 10) be¬
finden sich viele nach hinten gebogene, kleine Hakenzähne, die zum Festhalten
der Beute dienen.
In dem verkümmerten Oberkiefer sitzen auf jeder Seite etwas größere,
hohle Giftzähne; sie sind durch einen Kanal mit der unter dem Auge liegenden
Giftdrüse verbunden. Beißt die Schlange, so entleert sich diese durch den
dabei erhaltenen Druck in die Giftzähne, und ein Tröpfchen wasserhelles Gift
tritt in die Wunde. — Wird sie überrascht, so zischt sie, züngelt, zieht oen
Kopf zurück, schnellt ihn dann ein wenig vor und beißt blindlings zu. Der
Biß erregt furchtbare Schmerzen, Anschwellen des verwundeten Gliedes,
Krämpfe und zuletzt den Tod oder ein langjähriges Siechtum. Die besten
Gegenmittel sind Ausdrücken und Ausbrennen der Wunde (Aussaugen ist ge¬
fährlich) und der Genuß beträchtlicher Mengen weingeisthaltiger Getränke.
Man verfolgt die Schlange eifrig. Ein Schlag mit einer Gerte auf den Rücken
tötet sie. Sie vermehrt sich durch Eier, aus denen die Jungen gleich beim
Legen auskriechen. — Zu den giftlosen Schlangen gehört die Ringelnatter.
Alle Schlangen halten einen Winterschlaf in Erdlöchern und erwachen erst spät
im Frühjahr wieder.
B. Der Nadelwald.
§ 33. Die Nadelwälder steigen in den Gebirgen weit über die Region
der Laubbäume hinaus, ebenso gehen sie weiter in die kalte Zone als letztere,
bis 70 o n. Breite. Aus den höchsten Alpen und im hohen Norden finden sich
nur noch Zwergformen derselben. Die Sand- und Heidegegenden Nord¬
europas, in denen kein Laubbaum gedeiht, geben den Nadelbüumen noch hin¬
reichend Nahrung. Sie beleben das ganze Jahr hindurch die öden Flächen
der Heide, die ohne das grüne Kleid ihrer Nadelwälder noch trostloser und
einförmiger wären, als sie es sind. Die dicht stehenden Nadelbäume lassen
fast gar keine andere Baumart aufkommen; nur die Birke mit ihren lichten,
aufstrebenden Ästen wird zuweilen geduldet; und an den freieren Stellen über¬
zieht das Heidekraut den Boden.
§ 34. Die gemeine Kiefer, Föhre, gehört zu den größten Bäumen
unserer Wälder. Der schlanke, 1 m dicke Stamm erreicht eine Höhe von 30
bis 40 m. Die Äste junger Kiefern stehen in Quirlen um den Stamm. Die
Nadeln sitzen zu 2 in einer Scheide. Die Kiefer erscheint immergrün, weil
die alten Nadeln erst abfallen, wenn die jungen sich entwickelt haben. Sie
blüht im Mai und Juni und trägt Staubblatt- und Stempelblüten. Die
Stempelblüten bilden einen Zapfen, welcher aus einer Spindel besteht, die
mit vielen kleinen Deckschuppen besetzt ist; unter jeder Schuppe sitzen zwei
Samenknöspchen. Nachdem die Staubblattblüten den Blumenstaub verstreut
haben, der oft in großer Menge als „Schweselregen" freie Waldflächen
bedeckt, sterben sie ab, während die Stempelblüten sich zu Frucht zapfen
(Kieferäpfeln) entwickeln.
Die Kiefer bildet in Mittel- und Nordeuropa große Wälder und begnügt
sich mit dem unfruchtbarsten Sandboden. Sie liefert Werk-, Bau- und Brenn¬
holz, Harz (gelbes Pech) und gemeinen Terpentin. Durch Destillieren