Full text: Realienbuch für die Schulen des Großherzogtums Hessen

Die Griechen. 
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Daneben waren Wälder, Felder und Wiesen, Quellen, Flüsse und Seen mit gött¬ 
lichen Wesen (Nymphen, Tritonen, Sirenen rc.) belebt, die das wunderbare Walten 
der Natur sinnbildlich darstellte,! und teils fördernd, teils störend in die menschlichen 
Schicksale eingrissen. Ein Heroengeschlecht, das von Zeus seinen Ursprung her¬ 
leitete, stand gleichsam als verbindendes Glied zwischen Göttern und Menschen, wie 
zwischen Menschen und Tieren die Satyrn und Faune, die menschliche und tierische 
Eigenschaften vereinigten. Mit dieser Götterwelt dachten die Griechen sich das Erden¬ 
leben in innigster Beziehung. Jedem Menschen stand von Geburt ein Schutzgeist 
(Genius, Dämon) zur Seite und wirkte, ohne seine Freiheit zu beschränken, auf 
sein Denken, Wollen und Handeln ein. Die Griechen glaubten an ein Fortleben 
und an eine Vergeltung nach dem Tode. Hades (Pluto) mit seiner Gattin Per¬ 
sephone (Proserpina) thronten in der Unterwelt, die durch einen Fluß (Styx) 
von der Oberwelt getrennt war und durch Cerberus, den dreiköpfigen Höllenhund, 
bewacht wurde. Charon war der Fährmann, der die Verstorbenen überführte, 
wofür er als Fährgeld einen Obolus zu empfangen hatte, den man dem Toten in 
den Mund legte. Themis hielt die Wage der Gerechtigkeit; Nemesis übte Ver¬ 
geltung; die Erinnyen verfolgten den Verbrecher, bis ihn die gerechte Strafe ereilt 
hatte. Je nach dem Richterspruch ging der Tote ein zu den Freuden des Elysiums 
oder zu den Qualen des Tartarus. 
Die früheste Geschichte Griechenlands ist dunkel und sagenhaft. Die bekann¬ 
testen Sagen sind die von Herkules, dem Argonautenzug und dem trojani¬ 
schen Krieg. 
Herkules, einer der Heroen, war der Sohn des Zeus und der Königin Alkmene 
von Theben. Die Göttin Juno war der Alkmene feind und gedachte deren Sohn zu 
töten. Als Herkules noch in der Wiege lag, kamen zwei furchtbare Schlangen, krochen 
an der Wiege empor und begannen das Kind zu umschlingen. Da zeigte sich seine 
Götterkrast. Mit jeder Hand ergriff er eine der Schlangen hinter dem Kopfe und 
erwürgte sie. Jedermann staunte über dieses Wunder, und ein berühmter Seher weis¬ 
sagte, das Kind sei von den Göttern zu großen Dingen ausersehen. Infolgedessen 
wurde er von den berühmtesten Meistern erzogen. Man übte ihn im Ringen, im 
Faustkampf, im Bogenschießen und im Speerwerfen. Daneben lehrte man ihn singen 
und die Leier spielen. So wuchs er zu gewaltiger Größe und Stärke heran. Einst 
erschienen ihm zwei Frauengeftalten. Die eine, das Laster, in bestrickender Schön¬ 
heit, versprach ihm alle Freuden der Welt und die Befriedigung jeglicher Lust der 
Sinne, wenn er ihr folgen wolle. Die andere, in bescheidener Gestalt, zeigte ihm den 
mühsamen Weg der Tugend, angestrengter Arbeit und treuer Pflichterfüllung, dafür 
aber als Lohn den Ruhm der Nachwelt. Herkules entschied sich für den Weg der 
Tugend. Schwere Arbeiten und Kämpfe wurden ihm auferlegt, aber er bestand sie 
mit Heldenkrast. Vom Orakel in Delphi empfing er den Auftrag, dem König Eurystheus 
von Mykenä zwölf Jahre zu dienen. In dieser Zeit verrichtete er zwölf wunderbare 
Arbeiten. Er erdrückte einen Löwen, der Angst und Entsetzen verbreitet hatte, in 
seinen Armen, erlegte eine Schlange mit neun Köpfen, die doppelt wieder nachwuchsen, 
wenn einer abgehauen war. Den Stall des Augias, in dem 3000 Rinder standen 
und der 30 Jahre nicht gereinigt worden war, säuberte er in kurzer Zeit, indem er 
einen Fluß hindurchleitete. Am westlichen Ende Afrikas wuchs in einem heiligen 
Garten ein Baum, der goldene Äpfel trug. Diesen hüteten vier Jungfrauen, die 
Hesperiden. Den Eingang bewachte ein Drache mit hundert Köpfen. Um diese 
Äpfel für Eurystheus zu holen, zog Herkules aus. Er kam dahin, wo der Riese Atlas 
das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trug. Er überredete diesen, ihm die goldenen 
Äpfel zu holen, dafür wolle er so lange den Himmel tragen. Das war der Riese 
zufrieden; er überwand den Drachen und brachte die Äpfel. Aber jetzt weigerte er 
sich, den Himmel wieder auf sich zu nehmen. Herkules überlistete ihn, llndem er bat, 
ihn nur so lange abzulösen, bis er sich von Binsen ein Kissen auf seine Schulter ge¬ 
macht habe. ..Kaum hatte der Riese seine Last wieder auf den Schultern, so zog Herkules 
mit seinen Apfeln von dannen. Seine letzte Arbeit bestand darin, den dreiköpfigen 
Höllenhund Cerberus aus der Unterwelt zu holen und auch wieder dahin zurückzu¬ 
bringen. Nach feinem Tode wurde Herkules zum Olymp emporgehoben und unter die 
Götter versetzt.
	        
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