Full text: Deutsches Lesebuch für einfache Schulverhältnisse

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der Mund, der oft dich küßte, spricht 
nie wieder: „Ich vergab dir längst." 
Er that's, vergab dir lange schon, 
doch manche heiße Thräne fiel 
um dich und um dein herbes Wort; 
doch still! er ruht und ist am Ziel. 
O lieb, so lang' du lieben kannst! 
O lieb, so lang' du lieben magst! 
Die Stunde kommt, die Stunde kommt, 
wo bn an Gräbern stehst und klagst. 
Ferd. Freiligrath. 
142. Geduld. 
1. Es zieht ein stiller Engel 
durch dieses Erdenland; 
zunl Trost für Erdenmängel 
wt ihn der Herr gesandt. 
seinem Blick ist Frieden 
und milde, sanfte Huld; 
° sola ihm stets bieuieden, 
dem Engel der Geduld! 
. 2. Er führt dich immer treulich 
durch alles Erdenlcid 
Und redet so erfreulich 
don einer schöner» Zeit. 
Leun willst du ganz verzagen, 
M er dock guten Muth; 
et hilft das Kreuz dir tragen 
Und macht noch alles gut. 
^ Er macht zu linder Wehmuth 
n herbste« Seelenschmerz, 
vj* îaucht in stille Demuth 
Uv ungestüme Herz. 
Er macht die finstre Stunde 
allmählich wieder hell; 
er heilet jede Wunde 
gewiß, wenn auch nicht schnell. 
4. Er zürnt nicht deinen Thränen, 
wenn er dich trösten will; 
er tadelt nicht dein Sehnen, 
nur macht er's fromm und still. 
Und wenn in Sturmestoben 
du murrend fragst: warum? 
so deutet er nach oben, 
mild lächelnd, aber stumm. 
5. Er hat für jede Frage 
nicht Antwort gleich bereit; 
sein Wahlspruch heißt: Ertrage, 
die Ruhstatt ist nicht weit! 
So geht er dir zur Seite 
und redet gar nicht viel, 
und denkt nur in die Weite, 
ans schöne, große Ziel. 
Spitta. 
143. Wie schön leuchst uns der Morgenstern. 
war eine schauerliche Nacht; kalt strich der Nord¬ 
sehl P)ei (^e Hüterstoxpeln, und ein blutiger Tag, ein 
Wf^('stan(l bevor. Vergeblich bekämpfte selbst der 
i?s*e Soldat seine Bangigkeit; denn der Sieg war 
gewiß die Arbeit, gewiß das Mähen des Todes 
ter Freund und Feind. 
W (*em wichtigsten und gefährlichsten Posten des 
*ers stand ein bärtiger Krieger. Seiner erprobten Wach¬ 
st" L Wirth, Lrsebuch. 9
	        
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