Full text: Deutsches Lesebuch für einfache Schulverhältnisse

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Bretterbude und auf Frau Else. Da trat er näher und sprach: 
"Es hat sich doch so manches in Danzig verändert! In dieser 
deinen Bude saß einst eine muntere junge Frau, von der ich als 
^schulknabe manchen Bilderbogen gekauft habe. Wo mag diese 
Angekommen sein?" 
, Die Alte lächelte wehmüthig und entgegnete: „Lieber Herr, 
kann doch niemand anders gewesen sein als ich selbst; ich sitze 
^er schon über fünfzig Jahre." 
Der Fremde fuhr mit der gebräunten Hand über die Stirn 
und rief: „Ja so, ich habe vergessen, daß auch ich gegen vierzig 
Dhre abwesend war. Die Zeit verändert viel; mancher meiner 
I Mheren Schul- und Spielgenossen ist wohl schlafen gegangen, und 
' °!e noch leben, werden den armen Matrosen nicht wieder erkennen, 
?nle werden's auch nicht wollen. — Der Peter Braun, welcher 
früher in der Langgasie wohnte, ist nun auch wohl schon lange 
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„Selbst gekannt habe ich ihn nicht, aber ich habe viel von 
^ erzählen hören. Er starb im Spittel," entgegnete Else. 
„Im Spittel?" wiederholte der Unbekannte erschüttert. 
: „Der Mann hat ein hartes Schicksal gehabt," fuhr die Alte 
M; „ihm war es auch nicht an der Wiege gesungen, daß er so 
UErben sollte. Er war der Sohn von dem Bernhard Braun, der 
^gemein für einen sehr reichen Mann galt. Als er aber plötzlich 
fanp man weder Geld noch Geldeswerth in seinem Nachlasse, 
Ml aber meldeten sich Gläubiger mit bedeutenden Forderungen. 
(¡N Braun, um des Vaters ehrlichen Namen zu retten, bezahlte 
M Schulden. Aber durch dieses Opfer verarmte er selbst so sehr, 
>M er es geschehen lassen mußte, daß sein noch unerwachsener 
, Mn als Schiffsjunge in die Fremde ging. — Nun war der alte 
jInn ganz allein. Er begann noch manches; aber nichts glückte 
und seine ehemaligen Freunde hatten sich von ihm abgewandt; 
g ^ armen konnten ihm nicht helfen, die reichen wollten nicht. So 
^ichah es denn, daß er krank und lebensmüde ins Spital gehen 
nutzte." 
Ueber das Gesicht des Unbekannten zuckte es finster hin. Er 
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dem Armenkirchhofe," antwortete Else. Der Fremde schien 
tva ^bber das Gesicht des Unbekannten zuckte es smjter hm. Er 
E«ndte sich schnell, um in die Stadt zu gehen, aber noch einmal 
er um und fragte: „Wo liegt denn Peter Braun begraben?" 
M'' dem Armenkirchhose," antwortete Else. Der Fremde schien 
Antwort erwartet zu haben, er senkte das trübe Auge. Da 
Ikin Blick aus ein altes verloschenes Oelgemälde, das im 
Ergründe der Bude hing. 
„Was wollt Ihr für das alte Bild?" fragte der Mann. 
Eine habe es," entgegnete die Alte, „vor vielen Jahren in 
Versteigerung für ein Geringes erkauft. Es mag wohl nichts 
" werth sein; denn niemand hat es mir wieder abnehmen
	        
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