fullscreen: Von der Urzeit bis zum Ende des 17. Jahrhunderts (Band 1, [Schülerband])

Volkmars Sang 
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11. Volkmars Sang. 
In der fjalle des Herrn Answald war den Landgenossen ein Fest 
gerüstet worden. An ihm nahm auch Ingo, der von den Thüringer- 
fürsten vor wenig.Tagen gastfreundlich aufgenommene Fremde, teil. Im 
Verlaufe des Festes war es zwischen den jüngeren Männern zu stark¬ 
erregtem Wortkampfe gekommen. 
während dem Gewirr sprang ein Jüngling die Stufen herauf und 
schrie in die Halle: „Volkmar, der Sänger, reitet in den Hof." „Tr 
sei willkommen", rief der Fürst. Und zu dem Sitz der Frauen gewandt, 
fuhr er fort:,„Irmgard, mein Rind, begrüße deinen Lehrer und geleite 
ihn zu unserm Tisch!" So befahl der kluge Wirt um die Hadernden 
an die Gegenwart der Frauen zu mahnen. Seine Worte wirkten wie 
eine Beschwörung auf die brausende Menge; die düstern Mienen wurden 
hell und mancher ergriff den Rrug und tat einen tiefen Trunk um 
ein Lnde zu machen mit seinen Gedanken und sich vorzubereiten auf 
das Lied des Sängers. Irmgard aber trat aus der Laube und schritt 
durch die Reihen der Männer zu der Schwelle. Auf den Stufen des 
Saals stand gedrängt die Jugend des Dorfes und starrte neugierig in 
die Halle. Da durchschritt Irmgard den Haufen und erwartete im Hofe 
den Sänger, der sich unter einem der Dächer zum Feste gerüstet hatte. 
Mit ehrbarem Gruß kam er auf sie zu, ein Mann von mäßiger Größe 
mit leuchtenden Augen, das krause Goldhaar mit Grau durchzogen; 
zierlich trug er seinen Überwurf von buntem Tuch, die nackten Arme 
mit Goldringen geschmückt, eine Rette um den Hals, das Saitenspiel 
in der Hand. 
„Du kommst zu guter Stunde, Volkmar," rief ihm die Jungfrau 
Zu, „sie sträuben sich gegeneinander, es tut not, daß dein Lied ihnen 
das Herz erhebt. Bewähre heute deine Runst und wenn du kannst, 
singe ihnen Frohes!" — „was hat ihnen den Sinn verstört?" frug 
der Sänger, der gewohnt war, seine Runst wie ein kluger Arzt zu spenden. 
— „Die jungen Männer halten nicht Frieden," antwortete das Herren¬ 
kind. — „Ift's nichts weiter?" versetzte der Sänger gleichgültig. „Ls 
wäre vergebene Müh' ihre Waffengänge auf grüner Heide zu hindern." 
Da er aber die ernste Miene der Jungfrau erkannte, fügte er hinzu: 
„Könnte ich dein freundliches Lachen in ein Lied fassen und jedem in 
bas Ohr singen, so würden sie alle mir folgen wie die Lämmer. Doch 
was ich heut' bringe," — setzte er mit verändertem Tone hinzu, „ist 
so schwer, daß sie darüber ihren Streit vergessen. Ls ist üble Zukost 
für ein Festmahl. Dennoch muß ich hinein, ihnen die Mär verkünden, 
ich weiß nicht, ob sie sich dann noch Sang begehren." — „willst du beim
	        
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