Full text: Lesebuch für katholische Volksschulen

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nicht, sondern nahm eine Schere und schnitt dem schlafenden 
Wolf den Bauch auf. Wie er ein paar Schnitte gethan, da sah 
er das rote Käppchen leuchten, und wie er noch ein wenig ge¬ 
schnitten, da sprang das Mädchen heraus und rief: „Ach,' wie 
war ich erschrocken! was war's so dunkel in des Wolfes Leib!" 
und dann kam die Großmutter auch lebendig heraus. Rotkäppchen 
holte aber große, schwere Steine, damit füllte sie dem Wolfe den 
Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen; aber die Steine 
waren so schwer, daß er gleich niedersank und tot hinfiel. 
Da waren alle drei vergnügt; der Jäger nahm den Pelz 
vom Wolfe, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, 
den Rotkäppchen gebracht hatte, und Rotkäppchen dachte bei sich: 
Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den 
Wald laufen, wenn dir's die Mutter verboten hat. Brüder Grimm. 
177. Der Löwe und die Maus. 
Der Löwe schlief einst in feiner Höhle; um ihn her spielte 
eine lustige Mäuseschar. Eine derselben war oben auf einen 
vorstehenden Felsen gekrochen, siel herab und erweckte den Löwen, 
der sie mit seiner gewaltigen Tatze festhielt. „Ach," bat sie, „sei 
doch großmütig gegen mich armes, unbedeutendes Geschöpf! Ich 
habe dich nicht beleidigen wollen, ich habe nur einen Fehltritt 
gethan und bin vorn Felsen herabgefallen. Was kaun dir mein 
Tod nützen! Schenke mir das Leben, und ich will dir zeitlebens 
dankbar sein!" — „Gehe hin," sagte der Löwe großmütig und 
ließ das Mäuschen springen. Bei sich aber lachteer und sprach: 
„Dankbar sein! Nun, das möcht' ich doch sehen, wie ein Mäuschen 
sich einem Löwen dankbar bezeigen könnte!" 
Kurze Zeit darauf lief das nämliche Mäuschen durch den 
Wald und suchte sich Nüsse; da hörte es das klägliche Gebrüll 
eines Löwen. „Der ist in Gefahr!" sprach es bei sich und ging 
der Stelle zu, woher das Gebrüll ertönte. Es fand den gro߬ 
mütigen Löwen von einem starken Netze umschlungen, das der 
Jäger künstlich ausgespannt hatte, um damit große Waldtiere 
zu fangen. Die Stricke hatten sich so fest zusammengezogen, 
daß der Löwe weder seine Zähne noch die Stärke seiner Tatzen 
gebrauchen konnte. „Warte nur, mein Freund," sagte das 
Mäuschen, „da kann ich dir wohl am besten helfen!" Es lief 
hinzu, zernagte die Stricke, welche seine Vordertatzen gefesselt 
hatten, und als diese frei waren, zerriß er das übrige Netz und 
ward so durch die Hülfe des Mäuschens wieder frei. Mch Aesop. 
178. Der Tierquäler. 
Schon waren die jungen Rotschwänzchen herangewachsen 
und beinahe siügge, als der böse Peter einmal die Alten aus der
	        
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