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105. Der Reiter und der Bodensee.
Der Eeiter reitet durchs helle Thal,
aufs Schneefeld schimmert der Sonne Strahl;
er trabet im Schweifs durch den hellen Schnee,
er will noch heut’ an den Bodensee;
noch heut’ mit dem Pferd in den sichern Kahn,
will drüben landen vor Nacht noch an.
Auf schlimmem Weg, über Dorn und Stein,
er braust auf rüstigem Ross feldein,
aus den Bergen heraus, ins ebene Land,
da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.
Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,
der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.
In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,
die Bäume gingen, die Felsen aus.
So flieget er hin eine Heil’, und zwei,
er hört in den Lüften der Schneegans Schrei;
es flattert das Wasserhuhn empor,
nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr;
keinen Wandersmann sein Auge schaut,
der ihm den rechten Weg vertraut.
Fort geht’s, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee.
Wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?
Da bricht der Abend, der frühe, herein;
von Lichtern blinket ein ferner Schein.
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,
und Hügel Schliessen den weiten Raum.
Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,
dem Rosse giebt er den scharfen Sporn.
Und Hunde bellen empor am Pferd,
und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.
„Willkommen am Fenster, Mägdelein,
an den See, an den See, wie weit mag’s sein?1'
Die Maid, sie staunet den Reiter an:
„Der See liegt hinter dir und der Kahn,
und deckt’ ihn die Rinde von Eis nicht zu,
ich spräch, aus dem Nachen stiegest du.“
Der Fremde schaudert, er atmet schwer:
„Dort hinten die Eb’ne, die ritt ich her!“
Da recket die Magd die Arm’ in die Höh’:
„Herr Gott! so rittest du über den See;
an den Schlund, an die Tiefe bodenlos,
hat gepocht des rasenden Hufes Stofs!
Und unter dir zürnten die Wasser nicht?
Nicht krachte hinunter die Rinde dicht?