Full text: Das Vaterland (4 = 5. u. 6. Schulj)

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größere Wirtschaft, oder mehrere kleine zusammen, ihren Moselnachen, und 
es entsteht eine Thätigkeit auf dem Wasser, wie man sie auf dem Rheine 
oder anderen Flüssen, welche den Besitz der Uferbewohner mehr als die 
Mosel auseinander halten, nicht kennt. 
Der Weinbau ist der zahlreichen Bevölkerung der Moselufer alles, 
ihre einzige Erwerbsquelle. Kornfelder giebt es fast gar nicht; die Wiesen, 
ja das Vieh haben sie nur des Weinbaues wegen. Freilich ist dieser in 
guten Jahren auch außerordentlich beträchtlich, und es giebt einzelne Dörfer, 
die in denselben oft 1000 — 2000 Fuder Wein (das Fuder zu sechs Ohm) 
erzeugen. Die ganze Weinernte des Moselthales von Trier bis Koblenz 
wird in besonders guten Jahren zu 100000, in mittelmäßigen zu 50 bis 
80000 Fuder veranschlagt, während die Gesamtbevölkerung des etwa 
13 Quadratmeilen großen Weinlandes 130000 Köpfe betragen mag. 
Kohl. 
130. Die Kastanie. 
Die Roßkastanie hat auf grünem Kandelaber 
die Blüten gelb und rot als Kerzen aufgesteckt, 
der Regen will sie löschen, aber 
zu höherem Glanz hat er sie aufgeweckt. Rückert. 
131. Die Lebensgescliieiite des Flachses. 
Am Sonntage war der Vater mit dem Kinde am blühenden Flachs¬ 
felde vorbeigegangen, und es hatte sich ein Pflänzchen genau angesehen. 
Wie zierlich streckte sich der schlanke Stengel! Wie stand er keck auf 
einem Fusse! Am unteren Teile des Stengels standen zwei und zwei, 
am oberen einzelne schöne, grüne, zarte Blättchen in bestimmten Ent¬ 
fernungen, und oben wiegten sich die wundervollen, himmelblauen Blüten. 
Jetzt trinken sie draussen den kühlen Nachttau. Der schöne Mond und 
die funkelnden Sterne erzählen ihnen köstliche Geschichten vom blauen 
Himmel und den Blumenengeln. Heimchen singen ihnen ein schönes 
neues Lied, Mäuschen gehen zwischenhin wie in einem Lustparke spazie¬ 
ren, und Johanniswürmchen leuchten dazu. Sie können die Äuglein 
Schliessen, wann sie wollen, und morgen schlafen, so lange es ihnen beliebt. 
Ihre Nahrung ist süsser Hegen und goldener Sonnenschein; und sie können 
mit einander pispern und wispern, so viel sie mögen, niemand schilt 
sie deshalb, sie behalten immer ihren Platz! Wie hat es solch ein Flachs¬ 
pflänzchen doch so gut! 
„Allein, allein, allein, allein, — 
wie kann der Mensch sich trügen!“ 
würde Herr Urian sagen. Solches Leinenpflänzchen hat seine liebe Not, 
so schlimm als ein Kind, ja wohl noch etwas schlimmer. Höre zu, wie’s 
ihm ergeht! Man fühlt das eigene Unglück kaum halb, wenn man erfährt, 
dass einem andern noch weit Betrübteres widerfährt! 
Nicht lange währet die Herrlichkeit des Leinfeldes. Die blauseidenen 
Blütenblättchen fallen auf die braune Erde, die Kapseln werden dunkel, 
Das Vaterland. 13
	        
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