Full text: [Stufe 4 = Schulj. 5 u. 6] (Stufe 4 = Schulj. 5 u. 6)

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Sie spielt mit Blumen im Schoße und plätschert sorglos mit den 
braunen Füßen im Wasser. Langsam singt sie eine schwermütige, 
eintönige Weise; es ist ein wendisches Volkslied, wie sie es an den 
Winterabenden von den Frauen und Mädchen in der Spinnstube 
singen hörte. 
Helles Jubeln und kindliches Lachen tönt uns entgegen; eine Flotte 
von flachen Kähnen, breit und viereckig wie Fähren, schwimmt lustig 
auf uns zu. Wendenkinder sind die Fährleute, Wendenkinder die Fahr¬ 
gäste. Die Knaben sind auf das schmuckloseste bekleidet; ein leinenes 
Höschen, vielfach geflickt und doch zerrissen, ein gerade nicht sehr sauberes 
Hemd — weiter nichts. Die Mädchen nehmen sich schon schmucker 
aus; die weißen Hemdärmel stehen hübsch zu dem roten Kopftuche 
und dem bunten Röckchen. Einige tragen sogar ein weißes Häubchen 
mit Schleifen oben auf dem Kopfe und gefältelten Flügeln an der 
Seite. Die Schule ist aus; die Kinder gehen nicht, sie „schwimmen" 
nach Hanse. 
Weiter gleitet unser Kahn. Wir sind in dem größten wendischen 
Kirchdorfe Burk. Ein wunderliches Dorf! Fast jede einzelne Hütte 
steht auf einem besonderen Jnselchen, von herrlichen Bäumen über¬ 
schattet. Sind diese Jnselchen nur durch schmale Gräben voneinander 
getrennt, so ist zwischen ihnen eine Verbindung durch hohe, einfache 
Brücken bewirkt. An jedem Ufer ist nämlich ein hoher Baumstamm 
I in die Erde getrieben, auf beiden ruht ein Brett, und zwei schräg daran 
gelegte Stämme, mit Leisten benagelt, dienen als Treppe hinauf. Die 
Brücken sind so hoch, damit auch ein mit Heu beladener Kahn frei unten 
durchfahren kann. Im übrigen bedient man sich im Sommer der 
Kähne, um von einer Insel zur anderen zu kommen. Das ist ein 
immerwährendes Begegnen und Vorübergleiten dieser kleinen, abge¬ 
stumpften Fahrzeuge, die sich auf den engen Wasserstraßen mit der 
größten Leichtigkeit ausweichen. Sonntags fährt alt und jung in vollem 
Putze zu Kahn in die Kirche. An den langen, dunklen Herbstabenden 
tragen die Spreewäldlerinnen ihre altertümlichen Spinnräder mit den 
bunt bebänderten Kunkeln in die Fahrzeuge und schwimmen in die 
Spinnstube. Aus ihren kleinen runden Fenstern leuchtet dann des 
Lichts gesellge Flamme, und uralte Volkslieder klingen durch den 
stillen Abend. Zu Kahn werden auch die Früchte des Feldes und 
das Gras der Wiesen heimgebracht oder auf die Märkte der nahen 
Städte geschafft. 
Im Winter ändert sich das Bild. Sind die Gräben nur not¬ 
dürftig zugefroren, so binden sich Knaben und Mädchen ihre Eisen unter
	        
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