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stieb und Kriemhilde. Da stieg heißet Gtoll im Hetzen bet Btunhilbe
auf, weil sie statt Gunthets viel liebet Siegftieben zum Gemahl ge¬
habt hätte. Auf einmal fing sie an zu weinen, baß iht manche heiße
Träne übet die lichte Wange tann. „Was ist Euch," fragte erschrocken
Günther, „daß Ihr Eurer hellen Angen Schein so trüben lasset? Ihr
solltet Euch doch recht mit allen den Fröhlichen freuen." Lügnerisch ant¬
wortete Brunhilde: „Deiner Schwester wegen trage ich Herzeleid. Mich
jammert ihre Schönheit und Zucht, daß du sie nicht einem Könige,
sondern einem deiner Dienstmannen zum Weibe gegeben hast." — „Schweigt
jetzt davon," erwiderte Günther; „ein ander Btal will ich Euch sagen,
warum ich Kriemhilden dem Siegfried zum Weibe gegeben habe. Er
hat Burgen und ein weites Land wie ich; er ist eilt reicher König,
darum gönne ich ihm die schöne Maid zum Weibe." Aber was auch
der König ihr sagte, ihr Mut blieb traurig.
Am Abend des Hochzeitstages regte sich in ihr noch einmal die
alte Kampfeswut. Sie überwältigte Günther, band ihm Hände und
Füße mit ihrem Gürtel zusammen und hängte ihn an einen Nagel in
der Wand. So hätte sie es, wer weiß, wie viele Abende getrieben,
wenn nicht Siegfried in der Tarnkappe dem Könige noch einmal zu
Hilfe gekommen wäre und nach hartem Kampfe Brunhilden bezwungen
hätte. Ohne daß sie es merkte, nahm er ihr Gürtel und Ring und
schenkte beides seiner Gemahlin. Als die Festtage vorbei waren, zog
Siegfried mit Kriemhilden in die Heimat zu Vater und Mutter.
Nach dem Nibelungenliede.
74. Wie Kriemhilde und Brunhilde einander feind werden.
Im Vollgenusse ihres Glückes waren Siegfrieden und Kriemhilden
zehn Jahr wie ein Tag vergangen. Anders aber sah es im Herzen
Brunhildens aus. Wie kommt es nur, dachte sie alle Tage, daß Kriem¬
hilde so übermütigen Sinn trägt; ihr Gemahl ist ja unser Dienst¬
mann, und doch hat er uns so lange schon keinen Dienst getan! Auf
ihre Frage, ob es nicht geschehen könne, daß sie Kriemhilden wieder
einmal sähe, antwortete Günther: „Sie wohnen uns zu ferne. Ich darf
sie nicht darum bitten, hierher zu kommen." Aber Brunhilde sprach:
„Wäre eines Königs Dienstmann auch noch so mächtig, so muß er doch
tun, was ihm sein Herr gebietet." So trieb sie es lange Zeit, bis
endlich Günther müde ward und versprach, Boten an Siegfried zu
schicken, daß er mit Kriemhilden an den Rhein kommen möchte.
Zur Zeit der Sonnenwende ritt dann auch Siegfried mit seiner
Frau, seinem alten Vater und einem Gefolge von 1500 Helden in
Worms ein. Beinahe zwei Wochen waren in lauter Lust und Freude