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Alpen, in die Schneewelt einer einsamen Sennhütte, wo kaum eines
Menschen Fuß hinkam, etwa vier starke Stunden ob seinem Wirths-
hause und weinte um sein unglückliches Vaterland. Nur sein Weib
und seine getreuesten Freunde kamen zu ihm und brachten ihm Speise;
die Mehrzahl glaubte ihn in Wien oder Ungarn, die wenigsten in
Tirol selbst verborgen. Viele geheime Boten, selbst von der Kaiser¬
burg in Wien, kamen zu seiner traurigen Wohnstätte, ihn zur Flucht
zu verleiten; doch er gehorchte nicht, und selbst, als man ihm sagte,
sein Aufenthalt sei verrathen, er müsse weiterfliehen, meinte er: „Kein
Tiroler wird mich verrathen!" Durch Versprechungen aber und Todes¬
angst dahin gebracht, verrieth der Tiroler Staffel den Aufenthalt
Hofer's und wurde selbst Wegweiser der Abtheilung französischer
Truppen, die ihn gefangen nehmen sollte. Am frühen Morgen des
20. Januars, da die Sonne noch nicht am Himmel stand, und rings¬
um dunkle Nacht war, umstellten die französischen Bajonnete die Senn¬
hütte. Hofer, mit dem Gewehre in der Hand, öffnete selbst die Thür
und antwortete, gefragt, wer er sei, unerschrocken: „Ich bin Andreas
Hofer, mein Schicksal ist in euren Händen, schont mein Weib und
meine Kinder!" Er wurde in Ketten gelegt und — sein zwölfjähriger
Sohn, sein Adjutant und ein Student aus Innsbruck waren bei ihm —•
durch lange Reihen von Truppen hinab gen Botzen gebracht, daselbst
einige Tage festgehalten und darauf nach Mantua abgeführt und vor
ein Kriegsgericht gestellt. Die Stimmen darin waren getheilt, die
wenigsten nur verlangten seinen Tod, zwei selbst seine völlige Frei¬
lassung; ihn vertheidigte mit vielem Geschick ein junger, talentvoller
Advocat, Baseva. Da kam aus Mailand plötzlich die Nachricht,
ihn binnen 24 Stunden hinzurichten. Hofer hatte das Todes¬
urtheil nicht erwartet, aber er hörte es mit dem Muthe eines
Mannes an.
Schlag elf Uhr den 20. Februar des Jahres 1810 ertönte der
Generalmarsch; ein Grenadierbataillon rüstete sich; Hofer wurde ab¬
geholt aus seinem Gefängnisse. Und er ging vor dem Molinathor
vorbei, worin die meisten Tiroler in Haft gehalten wurden; alle
lagen auf den Knieen, beteten und weinten laut; andere, die in der
Festung frei herumgingen, waren auf seinem Wege näher oder ferner,
hatten Trauer angelegt und riefen um seinen letzten Segen; dieser
Anblick ergriff alle Herzen. Auf einer breiten Bastion, unweit eines
der Thore, war die Todesstelle; man war dahin gekommen, zwölf
Grenadiere traten vor und Hofer in die Mitte; der Tambour reichte
ihm das weiße Tuch; er wies es zurück; man erinnerte ihn, sich auf
die Knie niederzulassen, aber er sagte: „Ich stehe vor dem, der mich
erschaffen hat, und stehend will ich ihm meinen Geist wiedergeben.
Schießt gut!" sprach er noch zu dem befehlenden Corporal, mdem
er ihm ein Geldstück zuwarf, und rief darauf mit fester Stimme:
„Feuer!" Die ersten sechs Schüsse hatten ihn bloß schwer verwundet;
er sank auf die Kniee; noch sechs sielen, und er kämpfte noch immer
mit dem Tode. Da hielt ihm der kommandirende Corporal den Lauf
hart an den Kopf und machte durch den dreizehnten Schuß seinem