Full text: [1 = [5. Schulj.]] (1 = [5. Schulj.])

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7/ Wie in Worms die Doppelhochzeit gefeiert wurde und Siegfried mit 
seinem Weibe heimkehrte. 
Als Brunhilde mit Gunter in Worms ankam, wurde sie mit hohen 
Ehren und allen Bezeigungen der Liebe empfangen, zumal von der 
würdigen Königin Ute und von Kriemhilden, die in der jungen Königin 
eine Schwester gefunden zu haben glaubte und sie mit echt schwesterlicher 
Herzlichkeit empfing und begrüßte. 
Siegfried aber erinnerte den König Gunter an seine Zusage, und 
da dieser Wort hielt, so wurde auch aus Siegfried und Kriemhilden ein 
Paar, und das Fest der Doppelvermählung wurde bei Hofe mit aller 
Pracht gefeiert. 
Es war ein gar schöner Anblick, als die beiden neuvermählten Paare 
dasaßen, und mancher der Anwesenden stellte wohl Vergleichungen zwischen 
den beiden jungen Frauen an. Sie waren beide von hoher Schönheit, 
aber auf Brunhildens Stirne lag ein herber Ernst, während aus Kriem- 
hildens Antlitz der ungetrübte Glanz der Freude an dem geliebten Manne 
leuchtete. Jeder sah ihr das Glück ihres Herzens an den Augen an und 
freute sich mit ihr desselben — bis auf eine, die ihr dieses Glück nicht 
gönnte. Das war die Königin Brunhilde, die früherer Tage gedachte, 
in denen sie, die Heldenjungfrau, gehofft hatte, selbst dereinst die Gattin 
des Heldenjünglings Siegfried zu werden, des einzigen, den sie für würdig 
erachtet hatte, ihre Hand zu erhalten. Und nun saß sie an der Seite eines 
andern Mannes, den sie trotz des Sieges, den er, wie sie glauben mußte, 
über sie davongetragen hatte, doch nicht als den rechten Mann anerkennen 
und lieben konnte, und sah den hehren Helden, den sie geliebt hatte, als 
glücklichen Gatten einer andern Frau, der sie solches Glück nimmermehr 
gönnen konnte. Darum ward ihre Stirn finster von schweren Unmuts- 
schatten, und unwillkürlich traten ihr die Tränen in die Augen. 
Gunter bemerkte es und fragte nach dem Grunde ihrer Betrübnis. 
„Wie sollte ich fröhlich sein können," antwortete sie, „da ich deine 
Schwester, die doch von königlichem Blute ist, an einen deiner Dienst¬ 
mannen verheiratet sehe." 
Gunter, der am besten wußte, wie es mit Siegfried stand, wurde 
verlegen, und sagte daß er ein Held von untadeliger Geburt sei, der seine 
Schwester wohl verdient habe. Als sie aber wissen wollte, wodurch er sie 
denn verdient habe, machte Gunter Ausflüchte und sagte, sie solle es zur 
rechten Zeit erfahren. Aber das erbitterte Brunhilden nur noch mehr, also 
daß sie den ganzen Tag über mißmutig und finster blieb; und als Gunter 
ihr freundlich nahte, stieß sie ihn unwillig von sich und sagte: „Nein, König 
Gunter, zwischen uns kann von keiner Freundschaft die Rede sein, bevor 
Ihr mir den Grund sagt, weshalb Siegfried die Hand Eurer Schwester 
erhalten hat." Als Gunter ihr aber liebreich näher trat, ergriff ihn die 
Gewaltige plötzlich in wildem Zorne und band ihm Hände und Füße 
zusammen. Nur nach langem Bitten befreite sie ihn von den Banden. 
Als Siegfried seines Schwagers betrübte Miene sah und nach der 
Ursache seines Kummers fragte, klagte ihm Gunter sein Leid. Siegfried
	        
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