Full text: Das Vaterland (Schulj. 5 und 6)

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man kann es nicht verstehen, wenn man keinen Dolmetscher hat. 
Wer aber einmal in diesem Buche lesen kann, in diesem Psalter, 
und liest darin, dem wird hernach die Zeit nicht mehr lang, 
wenn er schon bei Nacht allein auf der Strasse ist, und wenn 
ihn die Finsternis verführen will, etwas Böses zu thun, er kann 
es nimmer. — Betrachtet man den Sternenhimmel, — so wird 
einem zu Mute, als wenn man in die göttliche Fürsehung hinein¬ 
schaute, und jeder Stern verwandelt sich in ein Sprüchlein. 
Der erste sagt: „Deine Jahre, o Gott, währen für und für; 
du hast vorhin die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner 
Hände Werk!“ — 
Der zweite sagt: „Bin ich nicht ein Gott, der nahe ist, 
spricht der Herr, und nicht ein Gott, der ferne sei? Meinest 
du, dass sich jemand so heimlich verbergen könnte, dass ich ihn 
nicht sehe?“ — 
Der dritte sagt: „Du erforschest mich und kennest mich 
und siehest alle meine Wege.“ — 
Der vierte sagt: „Was ist der Mensch, dass du sein ge¬ 
denkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ — 
Der fünfte sagt: „Und ob auch eine Mutter ihres Kindes 
vergäfse, so will ich doch deiner nicht vergessen, spricht der 
Herr.“ Hebel. 
284. Der alte Gott lebt noch. 
Es war eines Sonntags Morgen. Die Sonne schien hell und 
warm in die Stube; linde, erquickliche Lüfte zogen durch die 
offenen Fenster, im Freien unter dem blauen Himmel jubilierten 
die Vögel,- und die ganze Landschaft, in Grün gekleidet und mit 
Blumen geschmückt, stand da wie eine Braut an ihrem Ehren¬ 
tage. Aber während nun draussen überall Freude herrschte, 
brütete im Hause, in jener Stube, nur Trübsal und Trauer. 
Selbst die Hausfrau, die sonst immer eines heitern und guten 
Mutes war, safs heute mit umwölktem Antlitz und mit nieder¬ 
geschlagenem Blicke da beim Morgenimbiss, und sie erhob sich 
zuletzt, ohne etwas zu essen, vom Sitze, und eine Thräne aus 
dem Auge wischend, eilte sie gegen die Thüre zu. — Es schien aber 
auch in der That, als wenn der Fluch auf diesem Hause lastete. 
Es war Teuerung im Lande; das Gewerbe ging schlecht; die 
Auflagen wurden immer drückender; das Hauswesen verfiel von 
Jahr zu Jahr mehr, und es war am Ende nichts abzusehen als 
Armut und Verachtung. Das hatte den Mann, der sonst ein 
fleifsiger und ordentlicher Bürger war, schon seit langer Zeit 
trübsinnig gemacht, dergestalt, dass er an seinem ferneren Fort¬ 
kommen verzweifelte und manchmal sogar äusserte, er wolle sich 
selbst ein Leids anthun und seinem elenden, trostlosen Leben ein
	        
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