Full text: Das Vaterland (Schulj. 5 und 6)

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Ende machen. Da half denn auch kein Zureden von seiten 
seiner Frau, die sonst immer aufgeräumten Sinnes war, und alle 
Trostgründe seiner Freunde, weltliche und geistliche, verschlugen 
nichts und machten ihn nur schweigsamer und trübseliger. 
Der geneigte Leser wird denken, da sei es kein Wunder 
gewesen, dass denn zuletzt auch die Frau all ihren Mut und 
Freude verloren hat. Es hatte aber mit ihrer Traurigkeit eine 
ganz eigene Bewandtnis, wie wir bald hören werden. Als der 
Mann sah, dass auch sein Weib trauerte und nun forteilte, hielt 
er sie an und sprach: „Ich lasse dich nicht aus der Stube, bis 
du mir sagst, was dir fehle." Sie schwieg noch eine Weile, ■ 
dann aber that sie den Mund auf, und indem sie einen tiefen 
Seufzer holte, sprach sie: „Ach, lieber Mann, es hat mir heute 
nacht geträumt, unser lieber Herrgott sei gestorben, und die 
lieben Engelein seien ihm zur Leiche gegangen.“ „Einfalt!“ 
sagte der Mann, „wie kannst du denn so etwas Albernes für 
wahr halten oder auch nur denken? Herzlieb, bedenk doch, 
Gott kann ja nicht sterben!“ Da erheiterte sich plötzlich das 
Gesicht der guten Frau, und indem sie des Mannes beide Hände 
erfasste und zärtlich drückte, sagte sie: „Also lebt er noch, der 
alte Gott?“ „Ja freilich!“ sprach der Mann, „wer wollte denn 
daran zweifeln?“ Da umfing sie ihn und sah ihn an mit ihren 
holdseligen Augen, aus denen Zuversicht und Friede und Freudig¬ 
keit strahlte, und sie sprach: „Ei, nun, Herzensmann, wenn der 
alte Gott noch lebt, warum glauben und vertrauen wir denn 
nicht auf ihn! — er, der unsere Haare gezählt hat und nicht 
zulässt, dass eines ohne sein Wissen ausfalle, der die Lilien des 
Feldes bekleidet und die Sperlinge ernährt und die jungen Raben, 
die nach Futter schreien!“ — Bei diesen Worten geschah es dem 
Manne, als fielen ihm plötzlich Schuppen vom Auge und als 
löste sich das Eis, das sich um sein Herz gelegt hatte. Und 
er lächelte zum ersten Male wieder nach langer Zeit, und er 
dankte seinem frommen, lieben Weibe für die List, die sie an¬ 
gewandt, um seinen toten Glauben an Gott zu beleben und das 
Zutrauen zu ihm hervorzurufen. Und die Sonne schien nun 
noch freundlicher in die Stube auf das Antlitz zufriedener Menschen, 
und die Lüfte wehten erquicklicher um ihre verklärten Wangen, 
und die Vögel jubilierten noch lauter in den Dank ihrer Herzen 
gegen Gott. Ludwig Aurbacher, 
285. Gebet. 
1. Herr! schicke, was du willt, 
ein Liebes oder Leides; 
ich bin vergnügt, dass beides 
aus deinen Händen quillt.
	        
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