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und verbirgt der Thränen stürzenden
Quell
in des Mantels purpurnen Falten.
Und alles blickte den Kaiser an
und erkannte den Grafen, der das gethan,
und verehrte das göttliche Walten.
Schiller.
86. Wilhelm Teil.
(Sage.)
Unter dem Kaiser Albrecht that Gessler, Landvogt zu Uri und
Schwyz, den Landleuten daselbst grossen Zwang an, hielt sie streng und
hart und nahm sich vor, eine Feste in Uri zu bauen, damit er und andere
Landvögte nach ihm um so sicherer dort wohnen möchten, wenn Auf¬
ruhr entstünde, und auch das Land in desto grösserer Furcht und im
Gehorsam erhalten würde. Er fing also an, auf einem bei Altorf, dem
Hauptflecken, gelegenen Hügel den Bau ins Werk zu richten, und wenn
ihn jemand fragte, wie die Feste heissen werde, antwortete er: „Zwing¬
uri wird ihr Name sein.“ Das verdross die edlen Landsassen und
gemeinen Landleute in Uri, und als sie sich das merken liessen, wurde
Gessler grimmig und drohete, er wolle sie so weich und zahm machen,
dass man sie um einen Finger winden könne. Da liess er zu Altorf am
Platze bei der Linde, wo viele vorübergingen, eine Stange aufrichten,
einen Hut oben darauf legen und gebieten, dass jeder, der vorüberginge,
sich dem Hute neigen sollte, als ob der König selbst zugegen wäre,
widrigenfalls ihn Verlust seines Gutes und Leibesstrafe treffen würde.
Auch stellte er einen steten Wächter hin, der diejenigen anzeigen sollte,
welche dem Gebote nicht Folge leisteten. Dieser grosse Übermut drückte
das Volk noch ärger als der Bau des Schlosses; doch wagten sie aus
Furcht vor des Kaisers Ungnade und gewaltiger Macht keine Wider¬
setzlichkeit; Da ging an einem Sonntage im November ein redlicher,
frommer Landmann, Wilhelm Teil genannt, an dem aufgesteckten Hute
vorüber, ohne sich vor ihm zu neigen. Das ward dem Landvogte angezeigt.
Morgens danach, am Montage, beruft er den Teil vor sich und fragt,
warum er seinem Gebote nicht gehorsam gewesen wäre und dem Kaiser
wie auch ihm zum Trotz sich vor dem Hute nicht geneigt hätte. Teil
gab zur Antwort: „Lieber Herr, es ist von ungefähr und nicht aus Ver¬
achtung geschehen; ich dachte nicht, dass es Euer Gnaden so hoch
ansehen würden.“ Nun war der Teil ein guter Armbrustschütze, dass
man einen besseren kaum fand, und hatte hübsche Kinder, die ihm lieb
waren. Die liess der Landvogt holen und sprach: „Teil, welches unter
den Kindern ist dir das liebste?“ Teil antwortete: „Herr, sie sind mir
alle gleich lieb.“ Da sprach der Landvogt: „Wohlan, Teil, du bist ein
guter Schütze, wie ich höre. Nun wirst du deine Kunst vor mir bewähren
und einem deiner Kinder einen Apfel vom Haupte schiessen. Triffst du
ihn nicht auf den ersten Schuss, so kostet es dir dein Leben.“ Der Teil
18. Und mn sinnendem Haupt saß der
Kaiser da,
als dacht' er vergangener Zeiten;
jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah,
da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell,