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Wahrheit nnÄ Dichtung.
I. Zum EyählkU.
181. Der Greis und der Tod.
Ein alter Mann kam aus dem Walde und trug eine Last
Holz auf dem Jtiickeu. Ermüdet und von der schweren Bürde
darniedergedrückt, warf er dieselbe endlich von den Schultern
und rief seufzend und vor Ungeduld: „Ach, lieber Tod, komm
doch endlich!“ Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, so stand
dieser auch schon vor ihm und sprach: „Da bin ich! Was ver¬
langest du?“ „0 nichts, ganz und gar nichts“, antwortete der
erschrockene Greis, „ich habe dich bloss bitten wollen, dass du
mir dieses Bündel Holz wieder auf meine Schultern heben
möchtest.“ Äsop.
182. Zum 7. Gebot.
Im siebenjährigen Kriege pochte ein Kittmeister an dem Fenster
einer armseligen Hütte an. Ein Greis mit schneeweissem Haare trat
heraus. Der Rittmeister verlangte, der Alte sollte ihn auf ein Feld
führen, wo seine Reiter Futter für ihre Pferde haben könnten. Der
Greis gehorchte, führte aber die Reiter weit hinaus. Als sie eine Strecke
hin waren, kamen sie an ein schönes Gerstenfeld. „Hier ist, was wir
suchen“, sprach der Rittmeister. „Noch einen Augenblick Geduld!“
entgegnete der Alte. Endlich zeigte er ihnen einen Acker. Sie mäheten,
banden ein und machten sich auf den Rückweg. Jetzt sprach der Ritt¬
meister: „Guter Vater, Ihr habt uns unnötig weit marschieren lassen;
das erste Feld war besser als dieses!“ — „Das kann wohl sein“, ver¬
setzte der Greis, „aber es gehört nicht mir.“ Ahlfeld.
183. Das böse Gewissen.
Ein Mann kehrte, als sich der Tag geneigt hatte, in ein Wirts¬
haus ein, um darin zu übernachten. Er safs in der Ecke hinter dem
Tische und der Wirt auf der Bank am Ofen, und der Hausknecht mitten
in der Stube und machte eine Schnur an seine Peitsche. Da schrie
auf einmal der Wirt: „Hansjörg, ein Räuber! ein Räuber!“ Und der
Hausknecht fuhr auf, das Licht auf dem Tische zu putzen; denn es
hatte angefangen zu rinnen, weil ein Knoten im Dochte war. Aber auch
der Gast sprang vom Tische auf und über Hals und Kopf zur Thür