Full text: Vaterland und Weite Welt (C. Oberstufe)

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244. Osterl ied. 
1. Ostemacht, Ostemacht, 
hast der Welt das Licht gebracht! 
Da aus blut’gen Grabgewanden 
in der Früh’ der Herr erstanden, 
glühst du auf in Morgenpracht, 
Osternacht, Osternacht! 
2. Ostertag, Ostertag, 
wecke, was im Grabe lag! 
Blumen sprossen, Quellen springen, 
Kinder jubeln, Engel singen; 
jauchze, was noch jauchzen mag, 
Ostertag, Ostertag! 
3. Osterlicht, Osterlicht, 
das durch trübe Wolken bricht! 
Silberschäfchen zieh’n im Blauen, 
Sonnenschein beglänzt die Auen; 
leucht’ auch mir ins Angesicht, 
Osterlicht, Osterlicht! 
4. Ostergrün, Ostergrün 
! bricht aus allen Ritzen kühn! 
Schnee zerschmilzt in allen Ecken, 
goldnes Grün umsäumt die Hecken: 
Hoffnung lass auf Gräbern blüh’n, 
Ostergrün, Ostergrün! 
5. Osterluft, Osterluft, 
leis gewürzt mit Veilchenduft! 
Weckst mit deinem süssen Weben 
Greise wieder neu ins Leben, 
zauberst Blumen aus der Gruft, 
Osterluft, Osterluft! 
6. Osterklang, Osterklang, 
Glockenton und Lerchensang! 
Schwinge deine Silberflügel 
festlich über Thal und Hügel; 
tröstend geh die Welt entlang, 
Osterklang, Osterklang! 
7. Osterheld, Osterheld! 
Siegreich kommst du aus dem Feld; 
jauchzend klingt’s in allen Landen: 
Christ, der Hem, ist auferstanden; 
segnend wandle durch die Welt, 
Osterheld, Osterheld! Gerok. 
III. Znm Nachdenken. 
245. Ter Wolf auf dem Totenbette. 
Der Wolf lag in den letzten Zügen und schickte einen prüfenden 
Blick auf fein vergangenes Leben zurück. „Ich bin freilich ein Sünder", 
sagte er, „aber doch Hoffe ich, keiner von den größten. Ich Habe 
Böses gethan, aber auch viel Gutes. Einstmals, erinnere ich mich, 
kam mir ein blökendes Lamm, welches sich von der Herde verirrt hatte, 
so nahe, daß ich es gar leicht hätte würgen können, und ich that 
ihm nichts. 
Zu eben dieser Zeit hörte ich die Spöttereien und Schmähungen 
eines Schafes mit der bewunderungswürdigsten Gleichgültigkeit an, ob 
ich schon keine schützenden Hunde zu fürchten hatte." 
„Und das alles kann ich dir bezeugen", fiel ihm Freund Fuchs, 
der ihn zum Tode bereiten half, ins Wort; „denn ich erinnere mich 
noch gar wohl aller Umstände dabei. Es war zu eben der Zeit, als 
du an dem Beine so jämmerlich würgtest, das dir der gutherzige Kranich 
hernach aus dem Schlunde zog." Lessing. 
Vaterland und Weite Welt. 23
	        
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