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219. Züge aus dein Leben Kaiser Wilhelms 1.
die Hand und tröstete ihn. Der war jedoch schon vom Tod als
sichere Beute erlesen worden; wachsbleich, mit halbgebrochenen
Augen starrte er ins Leere. Kaum jedoch hatte er seinen König er¬
kannt, als er sich auch mit der letzten Kraft seines Körpers empor¬
richtete, den König mit leuchtenden Augen anblickte und sagte:
„Majestät, ich werde Ihrer ewig gedenken, auch dort oben — Amen.“
Der Verwundete sank ermattet zurück, und ein leises Röcheln ver¬
kündete, daß er ausgelitten hatte. — Der Kaiser trat hinzu, drückte
ihm die Augen sanft zu, und eine Träne rollte dem greisen Fürsten
in Seinen Weißen Bart. Richard Lauxmann.
b) Auf Vorposten.
Ein Soldat aus Mecklenburg stand im Spätherbste 1870 vor Paris
auf Vorposten. Hier erhielt er einen Brief aus seiner Heimat. Ha er
schon lange ohne Nachricht geblieben war, konnte er sich nicht ent¬
halten, ihn sogleich zu erbrechen. Beim Lesen vertieft er sich nun
so, daß er kein Auge und Ohr für das hat, was um ihn her vorgeht.
Plötzlich hört er ein Geräusch, sieht auf und erblickt den König Wil¬
helm und den Kronprinzen nebst Gefolge. Erschreckt läßt er den Brief
fallen und macht die übliche Ehrenerweisung.
Der König der seine Verwirrung bemerkte, kam freundlich auf
ihn zugeritten und fragte: „Nun, ein Brief von der Braut?“ — „Nein,
Majestät, von meinem Vater!“ entgegnete der Soldat. „Darf ich den
Brief lesen, oder enthält er Geheimnisse?“ fragte der König weiter.
Der Soldat übergab hierauf den Brief dem Könige. Dieser wendete
sich zu seiner Umgebung und las unter anderem folgendes laut vor:
„In vierzehn Tagen hat Deine Schwester Hochzeit; wir alle werden
Dich an diesem Tage schmerzlich vermissen; am meisten grämt sich
aber Deine alte Mutter, Dich nicht zu sehen. Schadet aber nichts,
haue nur tüchtig auf die Franzosen ein, damit diesen recht bald das
große Maul gestopft werde!“ Der König gab den Brief zurück und
ritt weiter. Es währte aber nicht lange, so wurde der Soldat von
seinem Posten abgelöst. Er erhielt vierzehn Tage Urlaub und konnte
auf Kosten des Königs die Reise nach Mecklenburg antreten.
3. Ich bin der Jüngere.
Im Jahre 1885 fand zu Stuttgart eine große Kaiserparade statt.
Als diese beendigt war, besichtigte Kaiser Wilhelm die Kriegervereine