Full text: Preußischer Kinderfreund

43 
durchbrach. Brücken abriss, Häuser umwarf und vielen Menschen ihren 
Sitz auf den Dächern oder auf den Bäumen anwies, wo selbst die 
Vögel nicht mehr sitzen wollten. Kinder schrieen, Mütter jammerten, 
Männer klagten: Alles rings umher war voll Jammer und Noth. 
Edle Menschenherzen eilten von allen Seiten herbei, um den Armen 
zu helfen. Und es muss viele Menschenherzen dazu getrieben haben: 
denn Kähne fuhren ab und zu und setzten Greise und Weiber auf's 
Trockne, und Hände von Schwimmenden ragten aus den Fluthen 
empor und trugen Kinder zu ihren Müttern an's Land, — kurz Noth 
und Hülfe suchten's einander zuvorzuthun; aber die Noth hatte lange 
die Uebermacht. 
Das edelste Menschenherz unter allen schlug aber diesmal in einer 
Herzogsbrust. Diese öffnete sich zusammt Börse und Haus für Hun¬ 
derte von Unglücklichen. Nicht genug! Bald stand der Herzog auch 
an dem Ufer und zog her vor den Andern als rettender Engel. 
Kaum erschien er, so umringten ihn Flehende von allen Seiten. Eine 
Mutter fiel vor ihm nieder und flehte jammernd um den Befehl, ihre 
Kinder zu retten. Er bot Geld aus, aber Niemand hatte das Herz, 
es zu verdienen; denn gar zu schaurig rauschte die immer höher stei¬ 
gende Fluth, und eigenes Leben stand gegen fremdes in der Wage. 
Da wiederhallte in Leopold's Herzen das mahnende Wort: „Wer da 
suchet seine Seele zu erhalten, der wird sie verlieren; und wer sie 
verlieren wird, der wird ihr zum Leben verhelfen!" — und schon 
stand er selbst im Kahne und antwortete denen, die ihm abriethen: 
„Was bin ich mehr als ihr? Ich bin ein Mensch, und hier gilt's 
Menschenleben!" und dahin schwankte der Nachen über die rauschende 
Fluth. Schonmäherteer sich dem jenseitigen Damme; jetzt ist er nur 
noch drei Schritte davon; schon sieht man im Geiste gerettetes Leben 
— ach, da schlug plötzlich der Kahn um, und — die Wellen der 
Oder sangen ein Grablied, dazu ganz Frankfurt, ja ganz Europa 
weinte. Er aber hatte seines Leibes Leben verloren, aber seiner Seele 
zum Leben verholfen. Dittmar: Waizenkörner. 
69. Der Köllig. 
Mutter, sagte der kleine Wilhelm, ich möchte wohl ein König werden! 
Die Mutter fragte darauf: Weißt du auch wohl, was ein König 
ist, und hast du jemals einen gesehen? 
Der Knabe verneinte es. Da fasste der Vater lächelnd ihn bei 
der Hand und sagte: Komm, ich will dir den König zeigen! und 
führte ihn hinaus auf den Hof in den Schnee. Denn es war Winter 
und sehr kalt. 
Da zeigte der Vater ihm ein kleines Vöglein und fragte: Kennst 
du dies Vöglein, und seine Weise und sein Wesen? -— Der Knabe 
antwortete: Nein, erzähle du mir davon!
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.