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durchbrach. Brücken abriss, Häuser umwarf und vielen Menschen ihren
Sitz auf den Dächern oder auf den Bäumen anwies, wo selbst die
Vögel nicht mehr sitzen wollten. Kinder schrieen, Mütter jammerten,
Männer klagten: Alles rings umher war voll Jammer und Noth.
Edle Menschenherzen eilten von allen Seiten herbei, um den Armen
zu helfen. Und es muss viele Menschenherzen dazu getrieben haben:
denn Kähne fuhren ab und zu und setzten Greise und Weiber auf's
Trockne, und Hände von Schwimmenden ragten aus den Fluthen
empor und trugen Kinder zu ihren Müttern an's Land, — kurz Noth
und Hülfe suchten's einander zuvorzuthun; aber die Noth hatte lange
die Uebermacht.
Das edelste Menschenherz unter allen schlug aber diesmal in einer
Herzogsbrust. Diese öffnete sich zusammt Börse und Haus für Hun¬
derte von Unglücklichen. Nicht genug! Bald stand der Herzog auch
an dem Ufer und zog her vor den Andern als rettender Engel.
Kaum erschien er, so umringten ihn Flehende von allen Seiten. Eine
Mutter fiel vor ihm nieder und flehte jammernd um den Befehl, ihre
Kinder zu retten. Er bot Geld aus, aber Niemand hatte das Herz,
es zu verdienen; denn gar zu schaurig rauschte die immer höher stei¬
gende Fluth, und eigenes Leben stand gegen fremdes in der Wage.
Da wiederhallte in Leopold's Herzen das mahnende Wort: „Wer da
suchet seine Seele zu erhalten, der wird sie verlieren; und wer sie
verlieren wird, der wird ihr zum Leben verhelfen!" — und schon
stand er selbst im Kahne und antwortete denen, die ihm abriethen:
„Was bin ich mehr als ihr? Ich bin ein Mensch, und hier gilt's
Menschenleben!" und dahin schwankte der Nachen über die rauschende
Fluth. Schonmäherteer sich dem jenseitigen Damme; jetzt ist er nur
noch drei Schritte davon; schon sieht man im Geiste gerettetes Leben
— ach, da schlug plötzlich der Kahn um, und — die Wellen der
Oder sangen ein Grablied, dazu ganz Frankfurt, ja ganz Europa
weinte. Er aber hatte seines Leibes Leben verloren, aber seiner Seele
zum Leben verholfen. Dittmar: Waizenkörner.
69. Der Köllig.
Mutter, sagte der kleine Wilhelm, ich möchte wohl ein König werden!
Die Mutter fragte darauf: Weißt du auch wohl, was ein König
ist, und hast du jemals einen gesehen?
Der Knabe verneinte es. Da fasste der Vater lächelnd ihn bei
der Hand und sagte: Komm, ich will dir den König zeigen! und
führte ihn hinaus auf den Hof in den Schnee. Denn es war Winter
und sehr kalt.
Da zeigte der Vater ihm ein kleines Vöglein und fragte: Kennst
du dies Vöglein, und seine Weise und sein Wesen? -— Der Knabe
antwortete: Nein, erzähle du mir davon!