Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

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Schlingen und Leimruthen, will sie in ein Bauer setzen und vor das Fenster- 
hängen, oder sie auch todten und an die reichen Leute verkaufen, die sie braten 
und verzehren. 
Da machte ich es doch lieber, wie unsere kleine Anna. Sic hatte auch ein 
Lerchlein, das sang so schön und lieblich. Als aber die Schwestern wiederkamen 
aus fremdem Lande, da saß das Thierchen still und stumm. Oft flatterte cs auch 
hin und her und stieß sich das Köpfchen wund. Als das die kleine Anna sah, 
jammerte sie das Vöglein: sie machte das Bauer auf und ließ es fliegen. Da 
flog die Lerche hoch in die Luft und sang so schön, daß alle Menschen stillstanden 
und zuhörten. Die kleine Anna aber freute sich noch lange, daß sie dem Thierchen 
die Freiheit geschenkt hatte. Und wenn sie einmal auf das Feld kam und hörte eine 
Lerche singen, dann sprach sie leise bei sich selbst: „Ob es wohl mein Lerchlein ist? " 
30. Wandersmann und Lerche. 
W. „Lerche, wie früh schon fliegest du 
jauchzend der Morgensonne zu?" 
L. „Will dem lieben Gott mit Singen 
Dank für Leben und Nahrung bringen; 
daö ist von Alters her mein Brauch; 
Wandersmann, deiner doch wohl auch?^ 
Und wie so laut in der Luft sie sang, 
und wie er schritt mit munterm Gang, 
war eS so froh, so hell den zwei'n 
im lieben klaren Sonnenschein. 
Und Gott der Herr im Himmel droben 
hörte gar gern ihr Danken und Loben. 
31. Das Kind unter den Wölfen. 
Auf dem Riesengebirge lebte einmal eine arme Frall, die hatte ein kleines 
Kind und auch eine große Herde. Die Herde aber gehörte nicht der Frau, son 
dern sie hütete sie nur. Und da saß sie einmal mit ihrem Kinde in dem 
Walde und gab dem Kinde Brei aus dein Stapfe, und die Kühe weideten 
unterdessen auf dem Grase. In dem Walde aber waren böse Wölfe, und als 
die Kühe von dem Grase in den Wald gingen, wo es kühl war und auch viel 
Gras wuchs, dachte die Frau, der Wolf könnte kommen und die Kühe fressen. 
Und da gab sie dein Kinde den Napf mit dem Brei und einen hölzernen Löffel 
dazu und sagte: „Da, Kindcheil, nimm und iß; nimm aber den Löffel nicht 
zu voll!" Und nun stand sie auf und ging jn den Wald und wollte die Kühe 
heraus treiben. Und als nun das Kind so allein da saß und aß, kain eine 
große, große Wölfin aus dem Wald herausgesprungen und gerade aus das Kind 
los, und faßte es mit den Zähnen hinten an der Jacke und trug es in den 
Wald. Und da die Mutter wieder kam, war kein Kind mehr da, und der 
Napf lag auf der Erde, aber der Löffel lag nicht dabei; denn den hatte das 
Kind in der Hand festgehalten. Und wie das die Mutter sah, dachte sie gleich: 
„ Das hat kein anderer gethan als der Wolf," und lies in das Dorf und schrie 
entsetzlich, daß die Leute heraus kämen. 
Unterdessen kam ein Bote durch den Wald gegangen, der hatte sich ver¬ 
irrt und wußte nicht, wo er war. Und als er so durch die Büsche geht und 
den Weg sucht, hört er etwas sprechen und denkt gleich: „Da müssen wohl 
Leute sein!" Und es sagte immer: „Geh', oder ich geb' dir was!" Und als 
er nun das Gebüsch von einander thut und sehen will, was es ist, sitzt ein 
Kindchen auf der Erde und sechs kleine Wölfchen herum, die fahren immer 
auf das Kind zu und schnappen ihm nach den Händen, — aber die alte
	        
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