ihrer habhaft werden konnte. Diese bösartigen Naturanlagen hatten
ihm, nachdem er eine genügende Anzahl von Kindern und großen
Leuten in unverantwortlicher Weise geschädigt hatte, eine dauernde
Anstellung als Kettenhund eingetragen, und die ewige Gefangenschaft,
die solcher Beruf mit sich brachte, hatte sein Gemüt natürlich nur
noch mehr verdüstert.
So lebte er denn in seiner geräumigen Hütte einsam als ein
Sonderling und Menschenfeind, keine andre Freude kennend, als, so¬
bald ein fremder Mensch den Hof betrat, an der rasselnden Kette
einem Teufel gleich herum zu toben und zu rasen und seinem sinn¬
losen Zorn und Ingrimm durch ein wütendes Gebell und durch Beißen
in Steine Luft zu machen. Wegen der oftmaligen Wiederholung dieser
Taten war rings um seine Hütte eine tief ausgetretener Kreis be¬
schrieben, und in diesen wagte sich weder Mensch noch Tier, mit Aus¬
nahme der frechen Sperlinge, die vor nichts in der Welt Achtung haben.
2. Wer bei Wasser zu Besuch war.
Nun ward am zweiten Tage unsrer Anwesenheit auf dem Gute
des Onkels Nebendahl bald nach Tisch bemerkt, daß Helene ver¬
schwunden war. Man suchte und rief sie im Hause und im Garten,
allein es kam keine Antwort. Endlich sah jemand zwei zierliche Kinder¬
stiefel neben dem Kopf des bösen Kettenhundes, der scheinbar tückisch
brütend in seiner Hütte lag. Ein tödlicher Schreck befiel uns alle,
als dies bekannt wurde; ihre Mutter ward leichenblaß, und selbst der
Onkel verfärbte sich. Er ging allein auf die Hütte zu, indem er
uns anwies, im Hintergründe zurückzubleiben. Der Hund richtete sich
auf, als er seinen Herrn sah, fletschte die Zähne und knurrte bedenklich.
In diesem Augenblick vermochte sich die Mutter nicht mehr zu halten,
und sie rief mit lauter Stimme: „Helene, Helene!"
3. Wie Helene Abschied von ihrem Freunde nahm.
Da rappelte sich in der Hütte etwas empor, und neben dem
zottigen Kopf des Hundes erschien das rosige Angesicht des kleinen
Mädchens. Es rieb sich anfangs ein wenig verschlafen die Augen und
sah dann von Glück strahlend auf uns hin.
Die Mutter wagte nicht mehr zu rufen, sondern winkte nur
eindringlich mit der Hand. Da sagte die kleine Helene zu ihrem
Nachbar: „Adjö, Hund, nun muß ich wieder zu meiner Mama",
und dabei tätschelte sie ihm den zottigen Kopf, während der Köter
gerührt winselte, ihr die Hand zu lecken versuchte und mit dem
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