Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

28. Die Vogelkojen auf den nordfriesischen Inseln. 
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sich über den Tisch beugend und den Hals lang machend." Aber was damals am Hofe 
neu war, ist es jetzt nicht mehr auf den Höfen, und wie lange wird's währen, so faßt 
kein Bauerknecht mehr das Fleisch und die Wurst mit seinen Fingern an! Löffel sind 
immer in Gebrauch gewesen, doch vor 50 Jahren hatte jeder Tischgenoß seinen eignen, der 
nach der Mahlzeit, wie man es zu der Zeit noch hin und wieder sah, an der Fenstersarge 
oder an der Wand aufgesteckt wurde. Dies hat eine Redensart gegeben zu einer Bezeich¬ 
nung großer Armut in einem Hause: Da ist kein Lössel an der Wand! 
3. Wie man Ilch Kleidete. 
damals gab es noch verschiedene Trachten im Lande, so daß der Wilstermarscher, 
der Ditmarse, der Propsteier, der Angler, der Widingharder und jedermann nach seiner 
Kleidung zu erkennen war, wo er hingehörte. Jetzt kleidet man sich Übereins nach einem 
Schnitt, und man unterscheidet kaum einen Reichen und einen Armen mehr. Besonders sind 
die silbernen Knöpfe und Schnallen fast wie verschwunden. Auch herrschten in verschiedenen 
Gegenden verschiedene Farben, da schwarz, da braun, da rot, da blau, hellblau, auch 
wurde eine Farbe zuweilen gesehen, die mau weiß nannte; jetzt neigen sich die Kleidungs¬ 
stücke überall den dunkleren Farben zu. In Städten können sich die Augen freuen, wenn 
sich noch einmal ein blauer oder brauner Kleidrock unter all den schwarzen sehen läßt. Wie 
viele Landleute tragen auch schon ihren schwarzen Kleidrock, während ehedem alle ihren 
hell- oder dunkelblauen Überrock trugen, in einigen Gegenden die Begüterten, wenn sie im 
„Staat" bestens gekleidet waren, Rock und Kamisol. Hieraus hatte sich eine Redensart 
gemacht, diese: jemanden um das Seinige, z. B. durch einen Prozeß bringen, hieß: ihn 
aus dem Rock nicht allein, sondern auch aus dem Kamisol bringen. Dies führt auf eine 
andere Redensart, welche das Verarmen bezeichnete: kein Stroh in den Schuhen behalten, 
„Ü66n 8trob in äs Lobob." Das mag aber in viel frühere Zeit weisen oder auch in 
andere Gegenden, wo noch in den Schuhen, Holzschuhen, Stroh getragen wird, um sie 
weicher für die Füße und wärmer zu machen. Was aber vornehmlich hier hervorzuheben 
ist, das ist: Ehemals kaufte man nur einzelne Stücke, und die mehr zum Putz waren, vom 
Kaufmann; säst alles, was man an und um hatte, war eigeugemachtes, in Linnen und in 
Wollen, wie in Linnenundwollen. Hauben wurden nur von den (städtischen) Damen ge¬ 
tragen und baumwollene Strümpfe auf dem Lande von keinem Frauenzimmer, gleichwie 
auch kein Kleid aus einem Stück, sondern immer aus zwei Stücken mit den verschiedenen 
Namen in verschiedenen Gegenden. Von den Marschen jedoch muß man sagen, daß da¬ 
selbst von altersher fast durchgängig die Männer Kaufmannsware zu ihren Oberkleidern 
genommen haben. Welche Tracht schöner in die Augen falle, die frühere oder die jetzige, 
läßt sich nicht wohl fragen, denn das jetzige Geschlecht hat die meisten Stimmen. Welche 
Tracht mehr Geld durch die Hand ziehe, darüber läßt sich sprechen; es wird das heraus¬ 
kommen: die frühere war kostbarer und doch wohlfeiler. Welche Tracht das behütende 
Schlecht und Recht besser in einem Hausstande behüte, das läßt sich wohl kaum erst fragen. 
Nur noch zwei Regeln, die eine: „Geborgte Kleider sind geliehene Kleider" und die andere 
in der Landessprache: ,.bss1 null rsiu!" Dazu noch eine dritte, als ein Zaun um die 
zwei ersten, Faß sie nicht so leicht überschritten werden: „Ein jeder kleide sich seinem 
Stande gemäß." Den Schluß aber dieser Kleidervergleichung mache das Bedauern, daß 
ehemals selten jemand kein besonderes Ehrenkleid hatte, in welchem er zum Abendmahl 
ging, jetzt dagegen so viele keinen besonderen Sountagsanzug haben, zu geschweigen 
ein Ehrenkleid. Wahrlich, wer nicht eine doppelte Kleidung hat, ist nur halbwegs ein 
Mensch. 
28. Die Vogelkojen auf den nordfriesischen Inseln. 
Die Jagd auf Enten und andere Wasfervögel ist besonders merkwürdig und er¬ 
giebig auf den Inseln Föhr, Silt und Amrum. Der Vogelfang ist für manche Familien 
daselbst ein nicht unwichtiger Erwerbszweig und hat manches Eigene, das auf dem festen 
Lande wenig bekannt ist. Er geschieht auf zweierlei Art, teils mit Schlagnetzen, teils in 
Vogelkojen. 
Die Beschaffenheit der Vogelkojen (6 auf Föhr, 3 auf Silt und 2 auf Amrum), 
von denen die erste nach holländischem Muster im Jahre 1730 angelegt wurde, läßt sich
	        
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