Full text: Lesebuch für ein- und zweiklassige Volksschulen

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so denke ich erst an meinen seligen Vater, wie der so gut war und 
mir so gern geben mochte. Und dann stelle ich mir die ganze Welt 
als meines Vaters Hans vor, und alle Menschen in Europa, Asien, 
Afrika und Amerika sind dann in meinen Gedanken meine Brüder 
und Schwestern, und Gott sitzt im Himmel auf einem goldenen Stuhl 
und hat seine rechte Hand übers Meer und bis ans Ende der Welt 
ausgestreckt und seine linke voll Heil unb Gutes, uud die Bergspitzen 
umher rauchen, — und dann fange ich an: 
„Rater unser, der du bist im ksimmel. Geheiligt werde dein Name!" 
Das verstehe ich nun schon nicht. Die Juden sollen besondre 
Heimlichkeiten von dem Namen Gottes gewußt haben. Das lasse ich 
aber gut sein und wünsche nur, daß das Denken an Gott und eine 
jede Spur, daraus wir ihn erkennen können, mir und allen Menschen 
über alles groß und heilig sein möge. 
„Zu uns komme dein Reich!" 
Hierbei denke ich an mich selbst, wie's in mir hin und her treibt 
und bald dies, bald das regiert, und daß das alles Herzquäten ist 
und ich dabei ans keinen grünen Zweig komme. Und dann denke ich, 
wie gut es für mich wäre, wenn doch Gott aller Fehde ein Ende 
machen und mich selbst regieren wollte. 
„Rein Wille geschehe wie im chimmel also auch auf Erden!" 
Hierbei stelle ich mir den Himmel mit allen seinen Engeln vor, 
die mit Freuden seinen Willen thun, und keine Qual rührt sie an, 
und sie wissen sich vor Liebe und Seligkeit nicht zu retten und froh¬ 
locken Tag und Nacht, und dann denke ich: „Wenn es doch also auch 
auf Erden wäre!" 
„Unser täglich Brot gieb uns heute!" 
Ein jeder weiß, was täglich Brot heißt, und daß man essen 
muß, so lange man in der Welt ist, und daß es auch gut schmeckt. 
Daran denke ich denn. Auch fallen mir wohl meine Kinder ein, wie 
die so gern essen mögen und flugs und fröhlich bei der Schüssel 
sind, und dann bete ich, daß der liebe Gott uns doch etwas wolle zu 
essen geben. 
„Und vergieb uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern!" 
Es thut weh, wenn man beleidigt wird, und die Rache ist dein 
Menschen süß. Das kommt mir auch so vor, und ich hätte wohl Lust 
dazu. Da tritt mir aber der Schalksknecht aus dem Evangelium 
unter die Augen, und mir entfällt das Herz, und ich nehme es mir
	        
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