Full text: Lesebuch für ein- und zweiklassige Volksschulen

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Mein früherer Argwohn, daß es ans Plünderung abgesehen sei, 
war nun gänzlich verschwunden. Ich holte unsere Armenbüchse, und 
der Husar warf ein Achtgroschenstück hinein. „Wir beide aber, wir 
teilen den Rest, Herr Schulmeister!" sagte er dann, indem er noch 
zwei Achtgroschenstücke aus der Tasche zog; „da, nehm' Er das eine 
für Seine Mühe!" Ich schlug es aus; aber er war so ungestüm, daß 
ich es schlechterdings nehmen mußte. „Nehm' Er, nehm' Er," sprach 
er; „es klebt kein Blut daran!" 
3. Jetzt verließ er das Gotteshaus, und wir begleiteten ihn. 
Sowohl meine Frau als ich waren unglaublich bewegt, und ich konnte 
mich nicht enthalten, unsern wunderbaren Gast auf dem Kirchhofe zu 
fragen, wie ihm denn der Gedanke gekommen sei, hier seine Morgen¬ 
andacht zu halten. 
„Das will ich euch wohl sagen, ihr lieben Leute!" antwortete er, 
indem er uns beide bei der Hand nahm. „Gestern abend sollte ein 
verlorner Posten ausgestellt werden, um mitten unter den herum¬ 
schweifenden Patrouillen den Feind auf einem gewissen Punkte zu 
beobachten. Jeder von uns wußte, was die Sache auf sich hatte; — 
wir sind seit einigen Wochen brav daran gewesen. Unser Rittmeister 
fragte nach Freiwilligen; niemand bezeigte Lust. Endlich ritt ich vor, 
und meine drei Jungen konnten ja wohl den alten Vater nicht allein 
lassen. — Er braucht es nicht zu wissen, Herr Schulmeister, wie wir 
es ansingen; genug, wir schlichen uns durch und hielten die ganze 
Nacht auf einer buschigen Anhöhe. Links und rechts blitzte es um 
uns her; wir sahen bald hier bald dort feindliche Mannschaften. Nicht 
meinetwegen, — denn wie lange werde ich noch reiten? — sondern 
nur wegen meiner Söhne seufzte ich in der finstern Nacht: Herr, er¬ 
halte uns! — Kaum hatte ich es heraus, als es zu dämmern anfing 
und der Morgenstern mir ins Auge blitzte. „Wie schön leuchtet der 
Morgenstern!" fiel mir in diesem Augenblicke aus meiner Jugendzeit 
ein. Gar manches, was ich seitdem gethan, und — was wohl nicht 
allemal recht war, hing sich wie eine Bleilast daran. Ich rechnete 
nach, seit wie viel Jahren ich in keine Kirche gekommen, und ich that 
Gott das Gelübde, wenn ich diesmal davonkäme, wieder einmal eine 
Andacht zu hallen. Das hab' ich denn nun gethan, und Er kann 
wohl denken, ob mir's zu Herzen ging, als wir sangen: „Du, Herr, 
bist's, der mich diese Nacht durch deine Engel hast bewacht!" 
Mit diesen Worten setzte er sich ans und ritt davon. 
Ahlfeld.
	        
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