Full text: Lesebuch für ein- und zweiklassige Volksschulen

23 
früheren Tagen mit ihrem Manne zur See gewesen und verstand 
sich wohl auf Wind und Wetter. Sie rechnete nach: „In einer 
kleinen Stunde wird die Flut da sein, dann ein Sturm losbrechen, 
und alle sind verloren.“ Da rief und jammerte sie, so laut sie 
konnte, aber niemand war in ihrem Hause, und die Nachbarn 
waren alle auf dem Eise; niemand hörte sie. Immer grösser 
ward unterdes die Wolke und allmählich immer schwärzer; noch 
einige Minuten, und die Flut musste da sein, der Sturm losbrechen. 
3. Da ralft sie all ihr bisschen Kraft zusammen und kriecht 
auf Händen und Füssen aus dem Bette zum Ofen; glücklich findet 
sie noch einen Brand, schleudert ihn in das Stroh ihres Bettes 
und eilt, so schnell sie kann, hinaus, sich in Sicherheit zu bringen. 
Das Hänschen stand nun augenblicklich in hellen Flammen, und 
als der Feuerschein vom Eise aus gesehen ward, stürzte alles in 
wilder Hast dem Strande zu. Schon sprang der Wind ans und 
fegte den Staub auf dem Eise vor ihnen her; der Himmel ward 
dunkel, das Eis fing an zu knarren und zu schwanken, der Wind 
wuchs zum Sturm, und als eben die letzten den Fnfs aufs feste 
Land setzten, brach die Decke, und die Flut wogte an den Strand. 
So rettete die arme Frau die ganze Stadt und gab ihr Hab und 
Gut daran zu deren Heil und Rettung. 
K. Müllenhoff. 
27. Der Brand von Hamburg 1842. 
Es war in der Nacht gegen ein Uhr vom 4. auf den 5. Mai, 
den Himmelfahrtstag, als die Bewohner Hamburgs durch den 
Feuerruf vom Schlaf geweckt wurden. Bald war die Nachricht 
verbreitet, dass in der Deichstrasse das Feuer ausgebrochen sei. 
Doch niemand dachte an eine grössere Gefahr, da die vortreff¬ 
lichen Löschanstalten selten mehr als einige Häuser dem Feuer 
überliessen. Allein diesmal nicht so; denn schon gegen zehn Uhr 
morgens lagen nicht nur in der genannten Strasse, sondern auch 
in zwei andern Strassen mehrere Häuser in Asche, und das Feuer 
breitete sich immer weiter aus. Es kamen Feuerspritzen aus der 
Nachbarschaft; aber auch diese, vereinigt mit den eignen, richteten 
nichts wider die furchtbar gross gewordene Macht aus. Unglück¬ 
licherweise hatte schon seit längerer Zeit eine anhaltende Dürre 
die Häuser ausgetrocknet. Hierzu kam, dass auch die Fleete fast 
leer waren, und das wenige Wasser, das sie enthielten, noch mit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.