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152. Die Invalidenversicherung
22. Juni 1889.
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Eine Unterweisungsslunde von Fr. Polack.
Vor einigen Jahren mußte ich den Bürgermeister mehrere
Monate vertreten. Als ich am 1. September das Amtszimmer
betrat, sah ich ringsum Alte und Schwache, Krüppel und Dürre
in großer Zahl sitzen und stehen. Es waren die Rentenempsänger,
deren Unterschristen ich aus den Quittungen beglaubigen sollte.
Ich grüßte sie freundlich und sagte zu einem gebückten Weib¬
lein: „Nicht wahr, Mütterchen, der Erste ist jetzt ein guter Tag?"
„Ja, ja," sagte sie, „er kommt aber zu selten, alle 30 oder 31
Tage nur einmal!"
„Jst's aber nicht ein großes Glück, daß er überhaupt jeden
Monat einmal mit seiner Rente kommt?" sragte ich. „Wer hat
früher von dieser großen Wohltat gewußt?"
„Ja freilich, freilich!" rief sie. „Wer das Gesetz gemacht hat,
dem sollten alle armen und alten Leute die Hände unter die Füße
legen!"
„Das Gesetz ist von dem Reichstage beraten und von unserem
Kaiser erlassen!" sagte ich. „Den Anstoß zu den Arbeiter¬
schutz-Gesetzen gab aber der große und gute Kaiser Wil¬
helm!. Er hat damit den großen Taten seines Lebens die Krone
aufgesetzt. Am 17. November 1881 sandte er eine Botschaft
an den Reichstag und forderte ihn auf, durch Gesetze die Arbeiter
zu schützen, ihr Wohl zu fördern, den Hilfsbedürftigen beizustehen,
und die erwerbsunfähigen Alten und Invaliden zu versorgen.
Sein großer Kanzler Fürst Bismarck rief den Reichstags-Ab¬
geordneten zu: „Geben Sie dem Arbeiter, solange er gesund ist,
Arbeit, wenn er krank ist, Pflege, wenn er alt und schwach
ist, Versorgung." Die segensreiche Folge dieser kaiserlichen
Botschaft ist die K r a n k e n -, Unfall- und Invaliden-
Versicherun g."
„Der gute, liebe Kaiser!" sagten viele Stimmen. „Gesegnet
sei sein Andenken! Wie viele Millionen danken ihm für seine
Fürsorge!"
„Deutschland allein kennt eine gesetzliche Fürsorge für das
Wohl der Arbeiter, weiter kein Land und Volk der Erde!" sagte
ich. „Das ist tatkräftiges Christentum, und das ist eine Bürgschaft
für Frieden und Gedeihen in unserem Vaterlande."
„Jst's wahr", fragte ein halbgelähmter Greis, „daß das Jn-
validengesetz geändert worden ist?"
„Ja, verbessert!" antwortete ich. „Am 13. Juli 1899
hat es der Kaiser erlassen, und am 1. Januar 1900 ist es in Krafl
getreten."
„Was ist denn anders geworden?" fragten mehrere.